Kapitale Goldgrube

Das ressourcenreiche süd­amerikanische Riesenland Brasilien ist seit Jahrzehnten wichtiges Betätigungsfeld deutscher Unternehmen und ihrer dortigen Ableger. Besonders in der Metropolregion São Paulo, dem größten Wirtschafts-, Finanz- und Handelszentrum des Kontinents mit mehr als 20 Millionen Einwohnern, ballen sie sich.

Vorreiter unter den deutschen Global Playern war der Volkswagen-Konzern, bereits seit 1953 ist VW do Brasil im Industriegürtel ABC-Paulista, dem Herz der brasilianischen Automobilbranche, ansässig. Andere zogen nach: Zulieferer, Pharma- und Chemieriesen, Banken und Versicherungen. Unerschöpfliche Rohstoffe und billige Arbeitskräfte versprachen satte Profite.

Der US-geförderte Putsch vom 31. März 1964 gegen den sozialreformerischen Präsidenten João Goulart und die anschließende zivil-militärische Diktatur wirkten als Katalysator für die Expansion des westdeutschen Kapitals. Jene, die sein politisches Geschäft besorgten, fädelten mit den Militärs den lukrativen Atomdeal von 1975 ein, der diese von der Bombe mehr als nur träumen ließ. Die Kooperation wird bis heute fortgesetzt, was Siemens, E.on und RWE für den Atomausstieg im eigenen Land einiges an Kompensation bietet.

Der Journalist Christian Russau geht im Einstieg zu seiner Untersuchung über zwielichtige Geschäfte mit deutscher Beteiligung sogar noch weiter zurück. Bereits seit dem Tripelallianz-Krieg (1864–70) Paraguays gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay wurde von Militärs und Despoten dort die Qualität deutscher Mordwerkzeuge der Marke Krupp besonders geschätzt, weiß er zu berichten. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die jüngere Vergangenheit bis ins Heute, für die er gründlich recherchiert hat. Ein Kapitel ist der Kollaboration deutscher Firmen mit der Diktatur, ihrer Hilfestellung bei der Verfolgung sozialer Aktivisten und der unvollständigen und verschleppten Aufklärung ihrer Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen gewidmet.

Obwohl Russaus Buch mitten in einer Zeit schwerwiegender politischer Veränderungen Brasiliens durch den Sturz der linken Präsidentin Dilma Rousseff veröffentlicht wurde, ist es in keinem Punkt überholt. Seine rote Linie folgt den viel tiefer liegenden Konstanten eines auf Rohstoffexport und Raubbau an der Natur ausgelegten Wirtschaftsmodells. Anschaulich schildert er, wie auf Kosten der lokalen Bevölkerung abgestaubt wird: etwa bei der Stahlproduktion in Rio de Janeiro, bei gewaltigen Staudammprojekten in Amazonien, bei der Pestizidproduktion für die industrielle Landwirtschaft. Ob Öl oder Gas, Soja oder Orangensaft: Deutlich wird, dass Blut und Schweiß vieler fließen müssen, um die auf hemmungslosen Konsum ausgerichtete Lebensweise in den reichen Ländern des Nordens möglich zu machen. Immer wieder kommen Betroffene – die sogenannten kleinen Leute – selbst zu Wort. Großen Raum nimmt in Russaus Arbeit die dubiose Rohstoffbeschaffung durch hiesige Industriekonzerne ein. Die Umweltzerstörung durch die Eisenerzförderung und Stahlherstellung ist ein besonders dunkles Kapitel. Ohne die Mineralien aus dem „Eisernen Viereck“ im Bundesstaat Minas Gerais und der Erzregion im amazonischen Pará könnten deutsche Unternehmen nicht Jahr für Jahr Millionen Autos produzieren.

Kritisch betrachtet der Autor die Ausweitung des Rohstoffexports durch die links geführten Regierungen in der Vergangenheit zur Finanzierung von Infrastruktur- und Sozialprogrammen, mit denen die Armut von Millionen in historisch kurzer Zeit erfolgreich zurückgedrängt wurde. Der Preis dafür war hoch: Die Ökologie ganzer Gebiete wurde geopfert, Anwohner verdrängt. Die Frage nach Alternativen dazu stellt sich, bei deren Umsetzung aber Macht und Eigentum jener hätten angetastet werden müssen, die sich als Brasiliens Herren verstehen. Und die nun wieder allein regieren. Ihre deutschen Freunde und Geschäftspartner schert auch dieses Mal der Anschlag auf die Demokratie nicht. Oder sie haben ihn sogar gefördert.

Die Geschichten in diesem Buch spiegeln die ungleichen, auf Abhängigkeit beruhenden deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen wider. Sie stehen auch als Beispiel für globale Herrschaftsverhältnisse überhaupt. Unterstützung für sein Projekt erhielt der Autor von der Hilfsorganisation Medico international und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie hat sich ausgezahlt: Anhand konkreter Fälle werden die schönen Worte deutscher Konzernlenker von „sozialer Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“ und „Umweltschutz“ als bloßes Gerede entlarvt. Russau, selbst im Solidaritätsnetzwerk Ko-Bra, Kooperative Brasilien e. V., aktiv, verbindet dies mit einem Rückblick auf Jahrzehnte gemeinsamen Kampfes von Menschen aus beiden Ländern in kirchlichen, gewerkschaftlichen und politischen Initiativen. Deutlich wird: Herrschaftskritik wird hier wie dort weiter gebraucht.

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 23.03.2017, Beilage „Literatur/Buchmesse Leipzig“, S. 21, Link

Christian Russau: Abstauben in Brasilien. Deutsche Konzerne im Zwielicht. VSA-Verlag, Hamburg 2016, 250 Seiten, 16,30 Euro