Rohrleger unter Druck

Mit der Verweigerung der Genehmigung für eine Kompressor-Station für die russisch-deutsche Ostsee-Gaspipeline könnte Schweden dem Großprojekt die Luft rauslassen. Das folgt aus einer Expertise von Said Mahmoudi, Professor für Internationales Recht an der Universität Stockholm, für die Tageszeitung Svenska Tagbladet.

Die schwimmende Plattform soll auf halber Strecke zwischen dem karelischen Wyborg und Greifswald nahe der schwedischen Insel Gotland errichtet werden. Schweden habe ein Exklusivrecht, so Mahmoudi, in seiner ökonomischen Zone Anlagen an der Meeresoberfläche zu errichten. Dritten könne es dies jederzeit untersagen.

Im Ikea-Land wachsen, von den Me­dien angefacht, plausible wie irrationale Ängste vor dem Megaprojekt, das sich über 1200 Kilometer erstrecken und ab 2010 bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich transportieren soll. Prägend in der Debatte sind sicherheits- und umweltpolitische Aspekte. Belebt werden dabei nicht zuletzt antirussische Ressentiments. Waren es in den 80er Jahren die sowjetischen Phantom-U-Boote, die vor den Stränden lauerten, so sollen die Russen diesmal gewissermaßen „in die Röhre gucken“. Die technischen Einrichtungen der Pipeline könnten auch Spionagezwecken dienen, warnt Verteidigungsminister Mikael Odenberg. Auch die sozialdemokratische Opposition sorgt sich um die nationale Sicherheit.

Risiken für die Umwelt

Gerade auf Gotland trifft die Vorstellung, eine künstliche russische Insel zum neuen Nachbarn zu bekommen, auf wenig Gegenliebe. Die Bewohner fürchten um die touristische Attraktivität ihres Idylls. Auch die Fischereiwirtschaft sieht sich betroffen: Zum einen durch die Eingriffe in die Meeresbiotope beim Pipelinebau selbst. Zum anderen könnten Routen für den Fischfang mit Grundschleppnetzen betroffen sein. Ernste Einwände bringen auch Umweltschützer vor. Bisher konnte nicht sicher ausgeräumt werden, daß die Gastrasse auch Zonen berührt, die von versenkter Munition aus dem Zweiten Weltkrieg, darunter Senfgasgranaten, belastet sind. Die Freisetzung von Chemikalien aus dem Munitionsschrott könnte eine ökologische Katastrophe auslösen.

Die deutsch-russische Energieallianz via Ostsee-Pipeline wurde noch unter der SPD-Grünen-Regierung auf den Weg gebracht und bildete den Einstand von Bundeskanzler Gerhard Schröder für seine berufliche Reintegration beim russischen Gasprom-Konzern. Seit März 2006 ist Schröder Vorsitzender des Aufsichtsrates des Pipeline-Konsortiums.

Das Projekt ist in verschiedener Hinsicht von großer politisch-strategischer Brisanz. Unter dem Schlagwort der „Energiesicherheit“ wollen sich die westeuropäischen EU-Kernländer mit der „Gasschlagader“ nach Osten unabhängiger von Energieimporten aus der US-amerikanisch-saudisch dominierten Sphäre machen. Sie stellt auch eine Kompensation für die zunehmend erschöpften Öl- und Gasressourcen in der Nordsee dar. Durch die vorgesehene Ostseeroute werden Polen und die baltischen Staaten umgangen und können nicht von einer Durchleitung über ihre Territorien profitieren. Rußland gewinnt eine effektive Stellschraube, um auf Länder, die den USA in Europa als „fünfte Kolonne“ dienen, per Ventilhahn politischen Druck auszuüben – ohne daß zugleich die Versorgung der westeuropäischen Abnehmer betroffen wäre.

In seiner Analyse für Svenska Dag­bladet räumt Mahmoudi ein, daß es nach der UN-Seerechtskonvention statthaft sei, den Meeresboden anderer Länder zur Verlegung von Kabeln oder Rohrleitungen zu nutzen. Hier würde es sich jedoch um keinen zwischenstaatlichen Fall handeln. Denn unter rechtlichen Gesichtspunkten seien nicht Rußland und Deutschland die Akteure.

Unter Schweizer Flagge

Das Pipeline-Konsortium, die Nord Stream AG (North European Gas Pipeline Company) ist in das Schweizer Handelsregister eingetragen. Haupteigentümer sind zwar die russische Gasprom (51 Prozent) sowie die BASF und der Energieriese E.on (jeweils 24,5 Prozent). De jure handele es sich aber um ein Schweizer Unternehmen. Dieses benötige für seine Aktivitäten die Zustimmung der betroffenen Küstenländer. Schweden könne sowohl ein eigenes Interesse am Zugang zu den Naturressourcen geltend machen als auch den Schutz der maritimen Umwelt ins Feld führen.

Das Vorhaben der Nord Stream AG muß nun eine umfassende „Umweltverträglichkeitsprüfung“ in Schweden bestehen. Maßgebend sind die Kriterien der Espoo-Konvention. Diese wurde 1991 in Finnland vereinbart und ist seit 1997 in Kraft. Als Instrument der UN-Wirtschaftskommission für Europa sind darin Normen zur Information, Dokumentation und den Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Vorhaben in anderen Staaten mit möglichen erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen festgelegt. Schweden hat seine nationale Gesetzgebung an den Kriterien der Konvention sowie den entsprechenden EU-Regelungen ausgerichtet. Eine Ablehnung bei strenger Auslegung von Umweltschutzaspekten wäre auch auf dem Klageweg kaum zu kippen oder würde das Genehmigungsverfahren in eine unrealistische Länge ziehen. Letztlich müßte in diesem Fall als Mutterland der Nord Stream AG die Schweiz gegenüber Schweden auf diplomatischem Weg aktiv werden oder den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen.

Soweit dürfte es nicht kommen. Die politische Entscheidung liegt bei der neuen schwedischen Regierung unter dem konservativen Premier Fredrik Reinfeldt. Eine Brüskierung Rußlands und der EU-Vormacht Deutschland wäre ein Hasardspiel für das Königreich. Die innenpolitische Dimension treibt das Reinfeldt-Kabinett dabei jedoch in einen schwierigen Spagat. Meinungsmacher und Lobbyorganisationen, die US-Interessen dienlich sind, dürften sich die Gelegenheit kaum entgehen lassen, dabei mitzumischen.

Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2007/02-12/016.php