Irdisch magisch
Hier kann man sich viel vornehmen: Mehr als 1.200 Kilometer streckt sich die Perle der Antillen. Ein guter Anfang ist Havanna mit seinem Retrocharme, die Stadt, die mit ihren Kolonialbauten und bunten Amischlitten einer Filmkulisse gleicht. Unwirklich und faszinierend. Die Stadt, die von Hahnenschreien und vom Hupen der Autos geweckt wird und vor deren Dieselgeruch die Menschen an die Uferpromenade Malecón flüchten.
Geschäftstüchtig sind sie hier, müssen sie sein. Immer neue Läden und kleine private Restaurants werden hergerichtet. Kochkünstler verlassen den Untergrund. Im O’Reilly in der gleichnamigen Gasse ist es mit Reis, Huhn und Bohnen vorbei, auch die Preise sind neumodisch. Unter den Touristen, die die Altstadt rund um die Calle Obispo bis hin zum neuen Kreuzfahrtterminal, das die Schiffe fast haushoch überragen, durchstreifen, sind nicht wenige Deutsche. Häufig sind es Germanistik-Studenten, die ihnen die Sehenswürdigkeiten erklären. Dass sie mehr bei Führungen durch die Stadt als im Unterricht anzutreffen sind, deckt sich mit ihrem eigentlichen Berufsziel.
Auf dem Paseo del Prado fertigen die Frauen eines Vereins gemeinsam wahre Schmuckstücke aus Plastikperlen, Künstler verkaufen Kunst, Kinder üben sich in der des Fechtens. Samstags lassen sich auf den Bänken die Agenten des freien Wohnungsmarkts nieder. An Bäumen hängen Offerten und Gesuche. Besonders einen jungen Mann mit randloser Brille und im Che-T-Shirt umlagern Interessenten. Ein Stück weiter, am Parque Central, hat Kempinski in diesem Jahr das neu errichtete prächtige „Manzana“-Hotel mit 246 Zimmern und Suiten eröffnet, mit Spa und mit Pool auf dem Dach. Man sieht sich als das „erste wirkliche Luxushotel in Kuba“. Ab 500 Dollar die Nacht ist man dabei. Gegenüber, vom ehrwürdigen „Inglaterra“ aus, ist der Ausblick ebenso entzückend und der Mojito weiter zu Friedenspreisen erhältlich.
Auf nach Osten
Von Holguín aus kann man nach Norden abbiegen, um in Wasser zu baden, das leuchtet wie Glasschmelze. Oder der entzückenden Kleinstadt Gibara eine Visite abstatten, die zur Freude ihrer Bewohner für Besucher herausgeputzt wurde. Kubas heimliche Hauptstadt Santiago, wo man den Rum pur trinkt und schwarzen Rhythmen lauscht, ist in ein paar Stunden, seine erste Baracoa – ein magischer Ort, französisch geprägt – innerhalb eines Tages erreichbar. Die Berge in der Provinz Guantánamo sind rauher, die Landschaft wirkt tropischer, und der Kakao liebt das Klima.
Der Kuba-Freund lässt auch die Sierra Maestra nicht links liegen, sondern steigt dort vom Pico de la Naranja durch dichten Wald zur Comandancia General de La Plata hinauf, wo Fidel und seine Kämpfer ihr Hauptquartier hatten. Viele Originalstücke sind zu sehen, die Hütten selbst halten stets nur ein paar Regenzeiten. „Auch mein Großvater half den Rebellen“, berichtet der Führer. Das Leben hier sei hart, die Löhne seien niedrig, die Jungen ziehe es fort. Auf sein Land ist er stolz. Hält Kuba weiter Kurs? „Sí, claro“, sagt er mit fester Stimme. „Wir sind doch ein Beispiel für die ganze Welt.“
Von Peter Steiniger, Lissabon. Veröffentlicht in: junge Welt, Beilage „Alternatives Reisen“, 12.12.2017, Seite 3, Link