Ein Tänzchen wagen

Die südlichste Region Portugals ist geradezu ein Synonym für Tourismus. Ihre feinen Sandstrände und felsigen Steilufer werden in jedem Sommer von Hunderttausenden an Bord der im dichten Takt mit Ziel Faro einschwebenden Ferienflieger beklatscht. Auf einen iberischen Ureinwohner kommen in der Saison mindestens zwei Fremde. Auch als europäisches Rentner-Florida kann es die Algarve mit „Malle“, wie die von reicheren Stämmen eroberte „spanische“ Insel im proletarischen Volksmund heißt, locker aufnehmen. Hier, nahe dem Cabo de São Vicente, der südwestlichsten Ecke des alten Kontinents, das einst als das „Ende der Welt“ galt, läßt sich dank des stets milden Klimas auch das eigene leichter erwarten.

Als soziales Wesen liebt der Mensch das nahe Beieinander. Der Sardine geht es ähnlich. Fingerlinge aus dem Atlantik praktizieren dieses über den Tod hinaus in Konservenform. In Dosen zusammengepreßt sind sie eines der führenden Exportprodukte Portugals. Die größeren Exemplare landen hier als Nationalgericht auf dem Grill. Eng und warm zugleich haben es Angelsachsen, Holländer und Teutonen, welche sich vor den Hotelburgen zwischen Sagres und Vila Real de Santo António auf den jeweils zugehörigen Strandabschnitt zwängen. Ansonsten spielt die Algarve, im Unterschied zu nördlicheren Regionen, beim Sardinenfang übrigens keine Rolle.

Wer aus dem Schwarm ausschert, wird die andere Algarve entdecken. Die Menschen und das Alltagsleben, Zeugnisse einer langen, wechselvollen Geschichte der im 13. Jahrhundert von den Mauren zurückeroberten Region, die kaum berührte Westküste, einsame Traumstrände in kleinen Buchten. Wer seine Zelte abseits des Touristenrummels aufschlagen möchte und dennoch gern weich liegt, ist bei Rosita und Olaf Eggelmeyer gut aufgehoben. Nahe der Ortschaft São Marcos da Serra warten sie mit komfortablen Tipis auf Besucher. Etwas für Naturfreunde, Familien und echte Pferdeliebhaber – wie es sich für eine Rothaut gehört.

Wer es hingegen versnobbt treiben möchte, kann auf einem der immer zahlreicheren Golfplätze sein Handikap hochtreiben. Oder den Adrenalinspiegel beim Haiangeln auf der Hochseejacht puschen. 25 Varianten der Knorpelfische schwimmen vor Portugals Küsten Patrouille. Dafür gibt es hier garantiert keine Tips. Haien begegnet man besser auf Augenhöhe im großartigen Ozeaneum von Lissabon.

Aber noch einmal ins Hinterland, diesmal ganz im Osten der Algarve. Flußaufwärts den Guadiana entlang in das uralte Grenzstädtchen Alcoutim. Seine verträumten Gassen überragt das gleichnamige Castelo, die bereits im 14. Jahrhundert errichtete Feste, und grüßt hinüber zu ihrem Widerpart, der am anderen Ufer das verschlafene andalusische Kaff San Lucar de Guadiana schmückt. Bis zum absehbaren Ausscheiden der iberischen Länder aus der Euro-Zone kostet die Überfahrt mit dem Fährboot Einsfuffzig.

Boot ist man hier schon immer gern gefahren, die Böden geben wenig her. Die Vorfahren der Alcoutimer hielten sich vor allem mit dem Schmuggel über Wasser. Heute steht es Portugiesen und Spaniern ökonomisch bis zum Hals. Die Jungen zieht es fort: Ab nach Lissabon, ab nach Frankreich, ab ins schöne Berlin. Doch egal, wie die Zeiten sind, in Portugal werden die Feste gefeiert, wie sie fallen. Davon gibt es den ganzen Sommer hindurch unzählige: traditionelle, religiöse, solche mit Schaum, der Bademode transparent macht, das gigantische der Kommunisten, immer am ersten Septemberwochenende in Seixal, nahe Lissabon.

Die „Festas de Alcoutim“ traten bereits 1952 an die Stelle der jährlichen Verehrung einer Schutzheiligen per Jahrmarkt, welcher so immerhin seit 1822 gehuldigt wurde. Viele Besucher stammten vom anderen Ufer. Doch mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 machte Diktator Salazar die Grenze dicht. Bis zur Nelkenrevolution 1974 wurde die wenigstens während der Festtage durchlässig. Die Geheimpolizei PIDE hatte stets ein Auge auf diesen kleinen Grenzverkehr. Die Honoratioren des Ortes hatten die schnell immer populärer werdende Party aus der Taufe gehoben, der Erlös floß in die Errichtung eines Hospitals. Neben Basar, Musik, Sport und Feuerwerk war auch die künstliche Straßenbeleuchtung ein echter Trumpf. Der Strom stammte noch aus Generatoren. Erst 1965 kam Alcoutim ans Netz.

Bis heute geht stets Mitte September hier für fünf Tage und Nächte die Post ab: Bis zum Sonnenaufgang wiegt man sich zu Diskoklängen oder dem Schnulzengesang von Coverbands. Wo es an Männern fehlt, nimmt eben die selbst schon reife Tochter die Mutter an die Hand. Rüstige Tänzer sind da sicher gern gesehen. Gerade die älteren Semester unter unseren Lesern wären gefordert.

Tipiurlaub in der Algarve: www.algarve-tipi.eu

Deutschsprachige Portugal-Portale:

www.portugalforum.org
www.portugallierforum.de

Ozeaneum von Lissabon: www.oceanario.pt

Munizipalkammer von Alcoutim: www.cm-alcoutim.pt

Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, 29.02.2012, Nr. 51, Beilage: „anders reisen“. S.8, https://www.jungewelt.de/beilage/art/2778