Zensor des Tages: Thiago Flores

In Rondônia, einem Bundesstaat in Brasiliens allertiefster Provinz, ist man im Umgang mit der Axt geübt. Erst machte man die Indianer platt, dann mussten die Kautschukbäume bluten, und heute haut man hier den Regenwald zur Holzgewinnung um. Im Rathaus von Ariquemes, seiner mit schlappen hunderttausend Einwohnern drittgrößten Kommune, hat man nun auch eine feinere Klinge für sich entdeckt. Bürgermeister Thiago Flores beschloss gerade – gemeinsam mit allen Stadträten, welche parteiübergreifend die „Evangelikale Fraktion“ des Stadtparlaments bilden –, mit der Schere Hand an die Lehrbücher für den Schulunterricht dort zu legen. Fein säuberlich soll rechtzeitig vor dem neuen Halbjahr herausgeschnitten werden, was Flores und seine Kreise als „Geschlechterideologie“ ansehen.

thumbnail of jw-2017-01-26-Zensor des TagesAuch ein bisschen bi schadet stets. Also, schnipp, schnapp: Hinfort mit der angeblichen Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten. Weg mit sündhafter Verhütung, weg mit den Geschlechtskrankheiten der Tugendlosen. Ein paar Seiten weniger im Lehrbuch, und schon passt das Bild darin wieder in die alternative Wirklichkeit der Hinterwäldler. Was Trump im Weißen Haus mit der Entsorgung von LGBT und Klimawandel per Delete-Taste fertigbringt, bewerkstelligt man am Ende der Welt mit einem klassischen Mittel der Inquisition. Von einem „Sieg der Dummheit und Ignoranz“ spricht der linke Abgeordnete Jean Wyllys, der im konservativ beherrschten Parlament in Brasília für die Rechte nicht heterosexueller Menschen streitet. Nicht nur im heißen Rondônia haben einige zuviel Sonne abgekriegt, und die religiösen Ultras sind landesweit auf dem Vormarsch. In der neuen Rechtsregierung sind sie stark verankert. Homophobe Hassverbrechen, die fast täglich Tote fordern, sind Teil der von Flores und Co. ignorierten Realität Brasiliens.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 26.01.2017, S. 8, Link