Zauberer auf dem Dach

Vor bereits vierzig Jahren entstand die Platte, neu arrangiert kehrte sie als Programm „Refavela 40“ zurück. Am Donnerstag abend machten Gilberto Gil und sein kleines internationales Ensemble im Rahmen ihrer Europa-Tournee in Berlin Station. Rappelvoll wurde es auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt, bis auf die letzte Karte war das Konzert ausverkauft. Die brasilianische Fangemeinde des Künstlers in der deutschen Hauptstadt war zahlreich im Publikum vertreten. Gelohnt hatte sich das Kommen für alle.

Die Inspiration für seine Lieder auf dieser Scheibe hatte sich Gil während einer Reise nach Nigeria 1977 geholt, afrikanische Klänge und Rhythmen flossen seitdem immer wieder in sein Werk ein. Auf der Bühne wirkte der Künstler (Jahrgang 1942) sogar jünger als seine Songs. Nicht zuletzt in der Interaktion mit der großartigen Mayra Andrade. Für sie sei es etwas ganz Besonderes, „mit diesem Denkmal“ gemeinsam aufzutreten, so die von den Kapverdischen Inseln stammende Sängern.

Gilberto Gil gehört zusammen mit Caetano Veloso und anderen zu den Erfindern und Pionieren der Musikrichtung Tropicalismo. Die Bossa Nova wurde mit dem Rock ’n‘ Roll fusioniert. In vielen seiner Lieder treffen afrobrasilianische Traditionen mit modernen Stilrichtungen zusammen, nicht zuletzt klingt immer wieder Bob Marley und der Reggae durch. Mit seinen kritischen Texten geriet der aus dem nordöstlichen Bahia stammende Musiker während der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) ins Visier der Obrigkeit. Veloso und Gil lebten zeitweilig im Exil in London. Politisch engagiert blieben beide.

Von 2003 bis 2008 war Gil als erster Schwarzer Kulturminister – in der Regierung von Präsident Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT). Alternative künstlerische Projekte wurden in dieser Zeit gefördert wie nie zuvor. Mit der linken Ära ist es seit dem kalten Putsch gegen Dilma Rousseff 2016 vorbei, seit mehr als hundert Tagen sitzt Lula aus politischen Gründen in Haft, soll an einer erneuten Kandidatur gehindert werden. Zwischen zwei Liedern griff der Star dieses Abends die Losung „Lula livre“ (Freiheit für Lula) auf, vom Publikum erwidert. Und dann wieder Musik, verzaubernde und befreiende Klänge, aus den Kulturen der Welt.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, 20.07.2018, Link