Die dunkle Seite der VW-Tochter

Volkswagen bleibt in den Negativschlagzeilen. Während die Dieselaffäre weiter Kreise zieht, wird in den hiesigen Medien nun auch ein Firmenkapitel ins Rampenlicht gestellt, welches das VW-Management auf die lange Bank der Historikerkommissionen abgeschoben glaubte. Es ist eine Auffrischung länger bekannter Vorwürfe. Beleuchtet wird die Kumpanei der brasilianischen Konzerntochter VW do Brasil mit der Politischen Polizei während der rechten Militärdiktatur (1964 bis 1985) bei ihren Repressionsmaßnahmen. Die Sicherheitsabteilung – der VW-Werkschutz – soll als deren verlängerter Arm Oppositionelle unter den Beschäftigten, insbesondere Gewerkschafter und Kommunisten, bespitzelt und denunziert haben. Auf dem Gelände des Stammwerkes São Bernardo do Campo wurden Verhaftungen und Misshandlungen von Arbeitern zugelassen. Etliche landeten in den Folterkellern der Militärs. Zudem soll der Konzern den Schergen etwa 200 Fahrzeuge spendiert haben.

thumbnail of jw-2017-07-25-Die dunkle Seite der VW-TochterSeit zwei Jahren läuft in Brasilien eine Sammelklage von Opfern gegen den Konzern. Die Nationale Wahrheitskommission (CNV) zur Aufarbeitung der Diktaturverbrechen war 2014 in einem Bericht auf die Mitverantwortung von Volkswagen für Menschenrechtsverletzungen eingegangen. Dessen Management dementierte umgehend. Das Dokument zeigte die enge Kooperation zwischen dem Unternehmen und den Sicherheitsorganen des Regimes auf. Die von VW do Brasil an Militär, Polizei und den Geheimdienst SNI weitergereichten Informationen waren demnach ein wichtiger Baustein bei der Erstellung „Schwarzer Listen“ von Regimegegnern. In den Spitzelberichten tauchte auch der Gewerkschaftsführer und spätere Präsident Brasiliens Luis Inácio Lula da Silva auf. Bereits seit den 1970er Jahren hatten brasilianische Aktivisten und Solidaritätsgruppen in der Bundesrepublik auf die dubiose Rolle des VW-Ablegers aufmerksam gemacht. Bei den Bossen in Wolfsburg blitzten sie damit ab. Politisch flankiert wurde das durch enge diplomatische Bande zwischen der Bonner Regierung und den Machthabern am Zuckerhut, einschließlich der Zusammenarbeit im Nuklearsektor.

Volkswagen ist längst nicht der einzige Multi, der einvernehmlich mit dem Regime zusammenarbeitete. „Ruhe und Ordnung“ waren auch im gemeinsamen Interesse mit Konzernen wie Scania, Toshiba, Chrysler, Mercedes oder Ford. Bereits seit 1953 ist der VW-Konzern, angelockt durch billige Arbeitskräfte und den Rohstoffreichtum des Landes, in Brasilien vertreten. Seine wichtigsten Produktionsstätten, einschließlich Werkzeugbau, liegen im „ABC-Gürtel“ der Metropole São Paulo, dem Zentrum der brasilianischen Automobilindustrie. Der größte PkW-Hersteller in der Geschichte Brasiliens spürt deutlich die Folgen der gegenwärtigen Krise. Der einstige Branchenprimus liegt beim Absatz nur noch auf dem dritten Platz, hinter Fiat und General Motors. Das Echo aus den deutschen Medien hallt genau zu dem Zeitpunkt wider, an dem VW do Brasil zum Angriff bläst. Mit dem neuen Polo und dem Virtus möchte man bis 2020 auf dem Treppchen emporsteigen.

Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in: junge Welt, 25.7.2017, Seite 9, Link