Verliebt in Berlin

Man hat einen richtig engagierten Wahlkampf gemacht. Die Niederlage war bitter. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Grundsatzdebatten aber gehören der Vergangenheit an. Alle hier haben sich gern – Hand aufs Herz. An den Inhalten lag es nicht. Wer (noch) PDS wählte, hat für „rot-rot“ gestimmt. Doch auch für die anderen ist man da. Im Interesse aller Berliner möchte man daher „zuständig bleiben“. Das war der Tenor auf einem Sonderparteitag, mit dem sich die Berliner Linkspartei.PDS am Donnerstag abend als Verhandlungspartner für eine Fortsetzung der rot-roten Koalition empfahl. Mit 94 gegen 19 Stimmen bei sechs Enthaltungen war es eine klare Sache.

Gysi: Vorwärts immer!

Die Parteitagsregie hatte als Darsteller Altstar und Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi gewonnen, um die Delegierten vor der Debatte einzustimmen. „Keine Zögerlichkeit, sondern Offensive!“, so der berufene Ratgeber für Berliner Landespolitik. In einer halbstündigen Ansprache entwickelte er eine Relativitätstheorie, nach der das Wahlergebnis, richtig ins Verhältnis gesetzt, schon viel freundlicher aussah. Die Partei habe schon schwerere Zeiten gesehen. Auch „dit Jroße und Janze“ kam in Gysis Textbausteinen nicht zu kurz. Harald Wolf empfahl er als „den besten Wirtschaftssenator, den Berlin je hatte“ – Gysi inklusive.

Eine neue Spitzenpersonalie mit Osthintergrund wurde aus der Personalabteilung des Küchenkabinetts angekündigt. Wer – das bleibt noch in der Familie. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carola Bluhm (vormals Freundl) könnte eine solche Option für die Ostseele von Wählerschaft und Partei sein. Der nicht stets artige Kultursenator Thomas Flierl schaffte es nicht zu namentlicher Nennung und darf schon mal seinen Senatorenschreibtisch ausräumen.

Ein Trio aus dem Landesvorsitzenden Klaus Lederer, Senator Harald Wolf und Fraktionschef Stefan Liebich hatte mit Klaus Wowereit und Genossen gefeilscht. Erfolg verpflichtet. Die drei wissen, wie man Sozis weichklopft. Nun wurden Vorhaben präsentiert, mit denen die PDS gegenüber der großen Schwester in Runde zwei Gesicht zeigen möchte. Präzise wie eine Atomuhr: „Verläßliche Einstiege“ in „relevantem Umfang“ sollen der „Erhaltung und Stabilisierung“ dienen. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch mäkelte von einem „Schnellschuß“ und wollte die Latte mit „konkreten, verständlichen Forderungen“ höher legen. Es sei ein alter Fehler, stets mit der Angst zu leben, die SPD zu überfordern. Harald Wolf und Klaus Lederer sollten nicht denken, „daß ich eine Neuauflage von rot-rot damit nur verhindern möchte.“ Vertrauen ist gut, doch… Alle relevanten Änderungsanträge wurden klug erkannt und mehrheitlich abgelehnt.

Wolf:Analyse mit Phantasie

Mit Harald Wolf gelangt endlich auch die Phantasie an die Macht: Den Wahlanalysen hatte er entnommen, daß die Linkspartei bei jenen Wählern, die sich erst kurz vor ultimo entschieden hätten, 21 Prozent erreicht habe. Also habe der Wahlkampf doch gewirkt. „So schlecht können unsere Wahlziele nicht sein.“ An diesen lag es nicht.

Einen anderen Akzent setzte Stefan Liebich. Keine Stimmenmaximierung um jeden Preis: Wenn absolute Mehrheiten in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg nicht für die PDS stimmen würden, weil diese für offene Grenzen, Asylbewerber und gegen „den Stalinismus in der DDR“ eintrete, müsse man fest bleiben. In diesem Licht erscheint das Ergebnis in den Ostbezirken in einem völlig neuen Licht und als politischer Erfolg: Die rassistischen Stalinisten in den Ostbezirken, die der PDS schon viel zu lange zu absoluten Mehrheiten verholfen hatten, ist man endlich losgeworden.

Haimo Stiemer von der solid-Jugend hofft auf Rettung von außen: „Vielleicht bewegt Berlin ja auch diesen Landesverband.“ Das hat Berlin gerade versucht. Vergeblich unternahm es auch Ellen Brombacher, kommunistisches Hausgespenst der Berliner PDS, noch einmal beim ABC anzusetzen. Kritik an Kritikern diene der Abwertung von Opposition als Politikform. Die Partei verweigere jede ernsthafte Ursachenforschung.

Alte Hüte. Die Demokratischen Sozialisten erwiesen sich als die besseren Traditionalisten: Eine PDS kann man nicht einfach so abwählen.

Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2006/09-30/027.php