Unter Schlamm begraben

Ohne Rücksicht auf Verluste werden Brasiliens Reichtümer zutage gefördert. Gold und Diamanten, Öl und Gas, Kohle und Erze. Umwelt und Menschenrechte gehen dabei verschütt, werden einem Entwicklungsmodell geopfert, das auf der Ausfuhr unverarbeiteter Rohstoffe und auf Niedriglöhnen aufbaut.

Bei Eisenerz ist das brasilianische Bergbauunternehmen Vale auf dem Weltmarkt auf diese Weise Champion. Im Bundesstaat Minas Gerais zerfurchen seine Abbaustätten an vielen Orten das Gesicht der Landschaft. Am 25. Januar trat dort an der Mine Córrego do Feijão bei der Ortschaft Brumadinho der schlimmste Fall ein. Der Damm zum riesigen Absatzbecken für Abwässer, die beim Bergbau anfallen, brach und richtete in dessen Umgebung eine verheerende Katastrophe an.

Eines der ersten Gebäude, welche die gewaltige Schlammlawine traf, war die Kantine des Unternehmens, in der viele Beschäftigte gerade beim Essen saßen. Was von ihnen und der Einrichtung übrigblieb, wurde von den Bergungstrupps Tage später etwa 80 Meter weiter ausgegraben. Auch ein Teil der Ortschaft, Häuser und Bewohner, wurde von der schmutzigen Brühe mitgerissen und unter Schlamm begraben. Eine Woche später hat dieser bereits bis zu 80 Kilometer zurückgelegt, er bedeckt nun eine Fläche von etwa 300 Hektar und droht den Fluss São Francisco zu verschmutzen, Lebensader für Hunderte Städte. Die Behörden zählen unter den Arbeitern von Vale und Anwohnern bisher 110 Tote, für die 238 als vermisst geltenden besteht keine Hoffnung. Viele Leichen des Unglücks von Brumadinho werden sich nicht bergen lassen. Der trocknende Schlamm verwandelt sich stellenweise in eine meterdicke, steinharte Kruste.

Im ganzen Land gibt es Abertausende solcher Dämme. Die schmutzigen künstlichen Stauseen sind die billigste Methode zur Rückgewinnung des Wassers. Viele werden ohne Genehmigung betrieben, es fehlt an Kontrollen durch die Unternehmen und an staatlicher Aufsicht. Den nach veralteten Standards gebauten Damm von Brumadinho hatte der TÜV Süd erst vor wenigen Monaten inspiziert und keine Gefahr ausgemacht. Zwei seiner Ingenieure sitzen nun in Haft, die wirklich Verantwortlichen aber weiter oben.

1997 war Vale unter der Mitte-rechts-Regierung von Fernando Henrique Cardoso privatisiert worden. Der Erlös aus dem Verkauf des Konzerns an internationale Kapitalgruppen betrug lediglich einen Bruchteil seines tatsächlichen Wertes – nur ein Vorspiel für den Ausverkauf, der Brasilien jetzt unter Präsident Jair Bolsonaro mit seinem ultraliberalen Wirtschaftsminister Paulo Guedes droht. Auch beim bisher schwersten Umweltverbrechen der Bergbauindustrie, dem Dammbruch von Bento Rodrigues am 5. November 2015, das 19 Menschenleben forderte und das Flusssystem des Rio Doce verseuchte, war Vale beteiligt. Verursacher Samarco gehört dem Konzern zur Hälfte. Die Folgen dieser Katastrophe sind längst nicht bewältigt; Stimmen, die vor einer Wiederholung warnten, wurden nicht gehört. Brumadinho ist die bittere Quittung dafür, dass Brasiliens Bergbau von Profitgier gelenkt wird.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge WeltAusgabe vom 02.02.2019, Seite 4 / Wochenendbeilage, Link