Rechtswende am Tejo

Portugals Wähler haben dem „Herrn Ingenieur“ das Patent zum Regieren entzogen. Das Debakel für José Sócrates und seine Sozialisten (Partido Socialista, PS) fiel deutlicher aus, als in Umfragen erwartet. Bei den portugiesischen Parlamentswahlen am Sonntag erreichten sie nur noch 28,1 Prozent der gültigen Stimmen und fuhren damit das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahrzehnten ein. Die spöttische Anrede verdankt der nach seinem Rücktritt Ende März geschäftsführend im Amt verbliebene Premier dem zweifelhaften Diplom einer Lissaboner Privatuni.

Stärkste Kraft in der Assembleia da República wurden mit 38,6 Prozent die konservativen Sozialdemokraten (PSD). Gemeinsam mit der rechts-konservativen Zentrumspartei CDS, die ebenfalls zulegte und mit 11,7 Prozent auf den dritten Platz kam, können sie über eine absolute Mehrheit in der Kammer verfügen. Damit ist der Weg an die Regierungsspitze frei für den Führer der bürgerlichen Opposition, den Unternehmer und Ökonomen Pedro Passos Coelho. Ihn begleiten die Wünsche des „ohne Bitternis“ scheidenden Ministerpräsidenten „für ein gutes Gelingen der schwierigen Aufgaben, welche vor ihm liegen“. Sócrates betonte am Wahlabend die Bereitschaft seiner Partei, im Interesse Portugals den Dialog mit der Rechten fortzuführen. Zugleich erklärte er seinen Rücktritt als PS-Generalsekretär und den gänzlichen Rückzug aus der ersten Reihe der Politik.

José Sócrates stand seit 2005 an der Spitze der portugiesischen Regierung. Er hatte dem Land einen dynamischen Modernisierungskurs versprochen. Doch die bereits ein Jahrzehnt währende ökonomische Flaute mündete mit der Weltwirtschaftskrise seit 2008 in eine rasante Talfahrt. Die Abwertung der Kreditwürdigkeit Portugals verteuerte die Aufnahme von Staatsanleihen und trieb das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Die vorgezogenen Neuwahlen waren notwendig geworden, weil die Konservativen der PS-Minderheitsregierung Ende März die parlamentarische Unterstützung für deren Sparprogramm entzogen hatten. Mit harten Einschnitten vor allem im sozialen Bereich und der Erhöhung von Abgaben und Steuern sollten das Defizit zurückgefahren und die Akteure an den Finanzmärkten besänftigt werden. Seit April steht das Land unter der Aufsicht einer „Troika“ aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission. Gegen Auflagen, welche Portugals Kurs noch strikter in neoliberale Richtung lenken, wurden Notkredite von 78 Milliarden Euro gewährt. Viel zu wählen gab es am Sonntag ohnehin nicht: Sowohl Sozialisten als auch PSD hatten angekündigt, den Vorgaben der Troika weiter folgen zu wollen.

Die Wahlenthaltung von 41,1 Prozent, hinzu kommen vier Prozent ungültige oder „weiße“ Wahlzettel, ist ein deutlicher Beleg für die Entfremdung und Desillusionierung der Portugiesen von den etablierten Parteien. Nach Ansicht vieler liegt die Macht ohnehin in den Händen einer Schattenregierung in Brüssel und Berlin. Warum also wählen? Der wirkliche Anteil an Nichtwählern dürfte noch höher liegen, da in den Registern Hunderttausende Geisterwähler, zumeist längst Verstorbene, spuken sollen.

Die großen Massenaktionen mit Generalstreiks und landesweiten Demonstrationen der vergangenen Monate, als Reaktion auf die Austeritätspolitik der PS und die Perspektivlosigkeit der jungen Generation, können bisher auch von den Parteien links der Sozialisten nicht nennenswert in eine Wahlmobilisierung umgesetzt werden. Während die Kommunisten (PCP) mit 7,9 Prozent bei den Legislativas ihren Stimmenanteil behaupten konnten und mit nun 16 Abgeordneten einen Parlamentssitz hinzugewannen, fiel der plurale Linksblock (BE) auf 5,2 Prozent ab. Die Anzahl seiner Abgeordneten wurde halbiert: Mit acht Vertretern stellt er künftig die kleinste Fraktion. Nachdem bereits im Januar der von Sozialisten und Linksblock gemeinsam unterstützte PS-Bewerber Manuel Alegre mit nur 19,7 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen eklatant gescheitert war, wurde der BE für diese Liaison mit dem Sócrates-Lager mit abgestraft. Die PCP sieht sich als „solideste, kohärenteste und zielklarste Kraft“ der Linken gestärkt.

Wahlsieger Passos Coelho stimmt auf weitere Opfergänge ein. „Die Jahre, die vor uns liegen, erfordern von unserem ganzen Portugal viel Mut.“

Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, 07.06.2011, S.7, https://www.jungewelt.de/2011/06-07/029.php