Rasanter Abgang

Wir schreiben das Jahr 2055 und wir haben es gründlich vermasselt. Dürren, Überschwemmungen, Feuersbrünste vertilgen die Menschheit. Ein Krieg ungeahnten Ausmaßes tobt auf dem Kontinent. Las Vegas war einmal, London schwimmt in der Themse, das Taj Mahal ist zum Teufel gegangen. Das „Zeitalter der Dummheit“ hat seinen verdienten Abschluß gefunden. Die Faszination der Apokalypse schlägt wieder mal zu – in der rasanten Eröffnung des Doku-Dramas der britischen Filmemacherin Franny Armstrong.

Den allerletzten Job hat sie an Pete Postlethwaite vergeben. Irgendwo am Polarkreis richtet ein stählernes High-Tech-Monstrum seine Antennen in den verpesteten Himmel. Der bekannte Mime – kein hübsches Kerlchen, Engländer, dafür ein Mann mit Gesicht – hockt im digitalen Archiv der Menschheit und läßt unser Scheitern Revue passieren. „Warum nur haben wir die Klimakatastrophe nicht verhindert, als wir noch die Chance dazu hatten?“ Am Ende drückt der letzte Mensch auf den Sendeknopf. Irgendwo da draußen in den unendlichen Weiten dürfen sich nun Alien-Anthropologen den – falls vorhanden – Kopf darüber zerbrechen. Der Titel nimmt vorweg, wie ihr Vermerk zu unserer Spezies ausfallen dürfte: zu blöd.

Rasanter AbgangPostlethwaite zappt sich durch den ganz normalen Wahnsinn der sogenannten Moderne. In einer geschickten Vermischung von Dokumentation, Fernsehbeiträgen und Animationen – so lehrreich wie witzig – wird vorgeführt, wie wir fleißig an unserem Ast sägen. Das Ölzeitalter wird besichtigt. „Es macht mich traurig, daß es unziemlich ist, etwas zuzugeben, was alle wissen.“ Nein, das ist nicht Horst Köhler, Bundespräsident a. D., sondern Alan Greenspan, gewesener US-Notenbankchef: „Der Irakkrieg ging vor allem ums Öl.“ Schnell dreht sich der Kreislauf aus Armut, Krieg, dem Raubbau an unseren Ressourcen und ihrer gleichzeitigen Verschwendung. „Kapitalismus ist Schwachsinn.“ So mal kurz auf den Punkt gebracht.

Die Kamera begleitet sechs reale Protagonisten aus verschiedenen Welten. Vom irakischen Flüchtlingsmädchen Jamila in Jordanien geht es nach Mumbai zu Jeh Wadia, der in Indien eine Billig-Fluglinie gründet und sich als Bekämpfer der Armut sieht. In Mittelengland lassen sich Cornwalls Bürger durch Wind­ingenieur Piers Guy nicht die Aussicht versauen. Und in Nigeria träumt Layela Malemi den amerikanischen Traum und schrubbt die mickrigen Fische, die sie aus ihrem Shell-verseuchten Fluß zieht, mit OMO. Bergführer Fernand Pareau schmilzt am Mont Blanc der Gletscher unter den Stiefeln weg. Und schließlich ist da der Paläontologe Alvin Duvernay aus New Orleans, den der Wirbelsturm Katrina um Haus, Hab und Gut erleichterte. Geblieben ist ihm die Liebe zum Beruf. Vor der Küste untersucht er Probebohrungen auf der Suche nach Öl, dem Stoff „mit diesem unwiderstehlichen Geruch nach Geld“. Mittlerweile kann man den Energieträger im Golf von Mexiko ja dem Meer auch direkt entnehmen.

Nur eine kurze Frist bleibt uns Blödianen, das Blatt noch zu wenden. Ab 2015 müssen die globalen CO2-Emissionen zügig runter, wenn wir nicht gegrillt werden wollen. Statt China-Bashing wird gezeigt, für wen die Genossen Kapitalisten die Schlote qualmen lassen. Hoffentlich wenig Freunde findet die Idee persönlicher CO2-Konten in einem Klima-Überwachungsstaat.

Nie mehr Easyjet: Die Produzentin Lizzie Gillet und die Regisseurin reisten von London mit der Bahn zur Berliner Premiere im Charlottenburger Filmkunst 66 an. „Wenn wir jetzt diese Probleme nicht lösen, ist es vorbei für die, die nach uns kommen“, sagen sie. Der Alarmismus von „The Age of Stupid“ könnte sich vor der Zukunft blamieren. Das darf er. Der TAO-Verleih, auf Eso-Kraut spezialisiert, tut mal was für reale „Bewußtseinserweiterung“. Für die Low-Budget-Produktion ist nun Konsumentenmacht gefragt, um den Film in viele deutsche Kinos zu bringen.

„The Age of Stupid – Warum tun wir nichts?“, Regie: Franny Armstrong, GB 2009, 90 min, Kinostart: bereits angelaufen

Infos/Termine: ageofstupid.tao.de

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 05.06.2010, S.12, Link