Prima Klima

Unsere Urenkel werden aufatmen können. Wie die G-7-Industriestaaten will auch Brasilien aus der Nutzung von Öl, Kohle und Gas aussteigen. Dies erklärte Präsidentin Dilma Rousseff zum Abschluss der ersten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen am vergangenen Donnerstag in der Hauptstadt Brasília. Etwas Wasser wird bis dahin noch den Amazonas runterfließen. Bis zum Ende des Jahrhunderts soll das Ziel erreicht werden. Dann sollen im größten Land Südamerikas nicht mehr Treibhausgase durch den Menschen freigesetzt werden, als von der Umwelt neutralisiert werden können. Das sei notwendig, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, sagte Rousseff. Viel länger dürften die Rohstoffe für eine ölbasierte Wirtschaftsweise ohnehin nicht reichen. Detaillierte Pläne bis zum Jahr 2030 sollen im September vor der UNO präsentiert werden. Brasilien ist führend bei Agrotreibstoffen und ein bedeutender Ölexporteur. Die Ausbeutung großer Ölvorkommen vor der Küste wird massiv vorangetrieben. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Rousseffs Ankündigungen im Vorfeld des Klimagipfels im Dezember in Paris ein „wichtiges Signal“.

pk_brasilDie wohlfeilen Erklärungen zum Klima und dem Schutz des Tropenwaldes überlagern den Hauptzweck, zu dem die Vertreter des Standortes Deutschland, darunter das halbe Bundeskabinett, angereist waren. Denn vor allem waren wirtschaftliche Interessen zu pflegen. Etwa 1.400 deutsche Firmen sind in dem Land vertreten. Insbesondere im Großraum São Paulo sind Konzerne aus der Chemie- und Automobilbranche ansässig. Die siebtgrößte Volkswirtschaft bildet einen Absatzmarkt mit großem Potential. Mit der Aussicht auf weitere Investitionen des deutschen Kapitals ködert Merkel die politische Spitze in Brasilien, um diese als Antreiber für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten zu gewinnen. „Brasilien ist jetzt hier sehr ambitioniert“, sagte Merkel. Mit Rousseff stimmt die Chemie.

Freunde kann Dilma Rousseff gerade gut gebrauchen. Ihre Regierung befindet sich in bedrängter Lage. Im Nationalkongress geben rechte Lobbys den Ton an. Die Wirtschaft schwächelt, nicht zuletzt aufgrund gesunkener Rohstoffpreise und des Abzugs ausländischen Kapitals. Teuerung und steigende Arbeitslosigkeit sind die Folge. Rousseffs Arbeiterpartei (PT) hat zudem mit einem Skandal um Geldwäsche und Bestechung beim Ölkonzern Petrobras zu kämpfen. Sie ist längst nicht allein verwickelt. Doch mit Unterstützung großer Medien und der bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr knapp unterlegenen rechten Opposition fanden Anfang der Woche erneut Massenproteste mit der Forderung nach einer Amtsenthebung der Präsidentin statt. Ultrarechte Kreise fordern das Militär öffentlich zum Putsch auf.

Zeitgleich mit der Merkel-Visite fanden in etwa 40 Städten Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung und „zur Verteidigung der Demokratie“ statt. Die Organisatoren sprachen von insgesamt 175.000 Menschen, die Aufrufen der großen Gewerkschaften, der PT und sozialer Bewegungen gefolgt waren. Zur Solidarität mit Rousseff gesellten sich Forderungen nach linken politischen Antworten auf die Krise. In Salvador erklärte Everaldo Anunciação, Präsident der PT im Bundesstaat Bahia, vor 20.000 Teilnehmern, dass dieser Aktionstag die Kämpfe für mehr Demokratie und soziale Rechte klar gestärkt habe.

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 22./23.08.2015, S.1, Link