Gefährliche Provokation

Pfusch am Bau scheidet aus: In bis zu 70 Meter Tiefe sind drei von vier massiven Strängen der von Russland nach Deutschland verlaufenden Nord Stream-Pipelines innerhalb schwedischer und dänischer Hoheitsgewässer schwer beschädigt und außer Funktion gesetzt worden. Die mutmaßlichen Anschläge auf die EU-Gasinfrastruktur sind für sich genommen ein dramatischer Vorgang und verschärfen die Spannungslage in Europa zusätzlich. Die Spekulationen über ihre Urheber blühen. Wahrscheinlich ist, dass es sich um eine Aktion von staatlichen Akteuren handelt, also Militär, Geheimdiensten oder Söldnern. Die Frage ist also, welche Mächte ein Motiv, die Mittel und die Gelegenheit zu ihrer Durchführung hatten. Die Bundesmarine kann man mit einiger Sicherheit ausschließen. Der noch engere US-Alliierte Polen, schon lange einer der schärfsten Kritiker des Pipelineprojekts und militärisches Hinterland der Ukraine, legt ohne Beweise nahe, dass dahinter eine russische Provokation steckt. Russland, unfeinen Methoden nicht abgeneigt, hätte in diesem Fall die eigene Pipeline gekappt, um keine weiteren Ausreden erfinden zu müssen, warum fast kein Gas mehr nach Deutschland fließt. (Und sich dieses Druckmittels freiwillig beraubt.) Denkbar wäre auch, dass es eine Demonstration seiner Fähigkeiten ist, den hybriden Krieg nach Westen zu tragen. So oder so wird der Fall in die Propaganda eingebunden werden, um einen Keil zwischen Westeuropäer und die USA zu treiben. Diese (und ihre britischen Gefolgsleute unter der Scharfmacherin Truss) sind natürliche Verdächtige, weil der geschäftsführende Ausschuss des US-Kapitals insbesondere Deutschland über Jahre mit aller Macht von Nord Stream 2 abzubringen versuchte. Und unmittelbar vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte Hunter Bidens Vater über den Kopf des Bundeskanzlers hinweg gestottert, dass es in diesem Fall kein Pipelineprojekt mehr geben wird („… then there will be no longer a Nord Stream 2)“. Er machte kein Geheimnis daraus, dass das nötige Werkzeug vorhanden ist („I promise you, we will be able to do that.“) Andererseits sind die USA diesbezüglich nah am Ziel ihrer Wünsche. Die deutsche und EU-Politik gegenüber Russland hat bereits bewirkt, dass der Gastransit massiv zurückgegangen ist und statt dessen u. a. LNG von Uncle Sam bezogen wird. Denkbares Motiv wäre, die Trennung der deutschen Wirtschaft von russischen Ressourcen unumkehrbar zu machen. Den Verdacht auf Russland zu lenken, könnte auch dazu dienen, die Konfrontation anzuheizen, damit die Westeuropäer auf der nächsten Eskalationsstufe nicht von der Stange gehen. Auf die Auflösung dieses Krimis darf man gespannt sein. Wer auch immer dahinter steckt, auch diese schwere Provokation verdeutlicht, wie dringend politische und diplomatische Anstrengungen sind, das Kriegsfieber herunterzukühlen.