Keine Konjunktur für Alternativen

Linkskräfte mussten bei Wahl in Portugal schwere Einbußen hinnehmen

Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Portugal am letzten Januarsonntag haben durch Umfragen beeinflusste taktische Wahlentscheidungen den Ausschlag dafür gegeben, dass sich die Sozialisten (PS) eine absolute Mehrheit der Sitze in der Assembleia da República sichern konnten. Wie erste Analysen zeigten, ging für Oppositionsführer Rui Rio von den rechtsliberalen Sozialdemokraten (PSD) der Schuss nach hinten los. In der Endphase des Wahlkampfes, als einige Meinungsforscher ein unerwartet enges Rennen sahen, hatte Rio angedeutet, dass sich seine Partei von der rechtsextremen Chega tolerieren lassen würde – ähnlich der Zusammenarbeit von Sozialisten und kleineren Linksparteien in der Vergangenheit. Die Folge war eine Mobilisierung der Wählerschaft aus dem Mitte-links-Lager, während dasselbe auf der Rechten nicht eintrat. Die Angst vor einem Sieg der PSD mit der hoffähig gemachten Chega im Schlepptau sorgte dafür, dass auch viele, die nicht unbedingt mit der PS sympathisieren, für die Partei von Ministerpräsident António Costa stimmten.

Costa kann ohnehin auf eine hohe Popularität bauen. Die von der Realität weit entfernten, doch medial aufgebauschten Umfragen spielten ihm zusätzlich in die Hände. Und während die Sozialisten geschlossen auftraten, hatte die PSD in den Monaten vor der Wahl mit innerparteilichen Machtkämpfen Schlagzeilen gemacht. Dass sie dennoch leicht zulegen konnte, hat sie in erster Linie der Fokussierung der Leitmedien auf einen Zweikampf der größten Parteien zu verdanken. Die Gesellschaft im Corona-Modus stärkte die Position der Autoritäten und erschwerte es den kleineren Parteien, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. Entsprechend haben sich die Gewichte im Parlament verschoben, die Zahl der darin vertretenen Kräfte hat sich reduziert. Auf PS und PSD entfielen zusammengenommen fast 71 Prozent der Stimmen.

Dass sich die beiden Parteien seit Jahrzehnten an der Macht ablösen, hängt auch mit dem nicht proportionalen portugiesischen Wahlsystem zusammen. In Bezirken, die nur wenige Sitze zu vergeben haben, sind alle anderen Bewerber faktisch chancenlos und Stimmen für sie verschenkte. So reichten den Sozialisten dieses Mal 41,5 Prozent, um 119 der 230 Abgeordneten des Nationalparlaments zu stellen. Nach zwei Minderheitsregierungen seit 2015 können Costas Sozialisten nun durchregieren, ohne auf Kompromisse mit Stützparteien angewiesen zu sein. Nach der Wahl betonte der Ministerpräsident indes, dass eine absolute Mehrheit in einer Demokratie nicht mit absoluter Macht verbunden sei und er weiterhin den Dialog mit den anderen Parteien suchen werde.

Was die für sie ungünstigen Rahmenbedingungen bei dieser Wahl betrifft, stimmen die bisherigen PS-Tolerierungspartner – seit 2019 ohne feste Vereinbarungen von Fall zu Fall –, der Linksblock (BE) sowie Kommunisten und Grüne in ihren Wahlauswertungen mit den Experten überein. Hinzu kommt, dass die Sozialisten die Gunst des Augenblicks zu nutzen verstanden. Die Auflösung des Parlaments und die Ansetzung vorgezogener Neuwahlen waren das Resultat gescheiterter Verhandlungen über den Haushaltsentwurf der Regierung im vergangenen Herbst. Die Parteien links der PS hatten, auch mit Blick auf die Milliardenhilfen der EU, deutlich mehr Geld für Gesundheit und Soziales und eine wirksame Bekämpfung von prekärer Arbeit gefordert. Costa ließ sie damit letztlich kalkuliert auflaufen.

Nachdem der Haushalt mit den Stimmen der Parteien links und rechts der Sozialisten im Parlament durchgefallen war, machte der konservative Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa seine Ankündigung wahr, in diesem Fall das Wort zurück an die Wähler zu geben. Und die Sozialisten machten die angeblich zu keinen Kompromissen bereiten Linksparteien dafür verantwortlich, dass es so weit gekommen ist.

Diese mussten herbe Rückschläge einstecken. Der plurale Bloco de Esquerda war besonders stark von der Wählerwanderung zu den Sozialisten betroffen und ist jetzt nur noch mit fünf Abgeordneten im Parlament vertreten, bisher hatte er 19 Sitze. Die Fraktion der PCP ist mit sechs Abgeordneten nur noch halb so groß wie nach der Wahl 2019. Die mit ihnen in der Wahlallianz CDU zusammengeschlossenen Grünen (Partido Ecologista Os Verdes) sind nicht mehr in der Assembleia da República vertreten. Auch, wenn die PCP besonderes Gewicht auf ihre außerparlamentarische Verankerung und ihren Einfluss in den Gewerkschaften legt, limitiert diese Entwicklung ihre Möglichkeiten, politisch zu intervenieren. An die Spitze der kommunistischen Fraktion tritt mit der 41-jährigen Chemie-Technologin Paula Santos, die für Setúbal erneut ins Parlament gewählt wurde, erstmals eine Frau.

Während die Verschiebungen im linken Spektrum eher konjunktureller Art sein dürften, sind die Umbrüche auf der Rechten tiefer und nachhaltiger. Die erst 2019 gegründete rechtsextreme Partei Chega unter ihrem Anführer und bis zur Neuwahl einzigen Abgeordneten André Ventura wurde mit 7,3 Prozent der Stimmen und 12 Sitzen drittstärkste Kraft. Einen ähnlichen Aufstieg erlebte auch die bisherige Kleinpartei Liberale Initiative (IL), die für weniger Staat und ein ungebremstes Walten des Marktes eintritt. Dafür stürzte die traditionelle rechtskonservative CDS-PP ab und gehört dem neuen Parlament nicht mehr an.

Chega gelingt es vor allem durch populistische Losungen und mit Schützenhilfe konservativer Medien, Aufmerksamkeit zu erregen und besonders frühere Nichtwähler für sich zu gewinnen. Nun dürfte sich auch in Portugal eine Partei vom äußersten rechten Rand fest etabliert haben. In die neue Legislatur startete die mit einem besonderen Affront gegen die politische Ordnung, die sich nach dem Sturz des Faschismus 1974 im Land etabliert hat. Für das ihr zustehende Amt eines der Vize-Parlamentspräsidenten schlug sie provokativ Diogo Pacheco de Amorim vor. Der Chega-Mitbegründer hatte sich 1975 der Demokratischen Bewegung zur Befreiung Portugals (MDLP) angeschlossen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte und auf deren Konto zahlreiche Bombenanschläge und Morde gehen. Er war ein Gefolgsmann von General António de Spínola, dem Übergangspräsidenten nach der Nelkenrevolution, der die Entlassung der portugiesischen Kolonien in die Unabhängigkeit vereiteln wollte und nach einem rechten Putschversuch ins Ausland fliehen musste.

Später arbeitete Pacheco de Amorim für Politiker der CDS-PP und ist ein gutes Beispiel für die Durchlässigkeit rechtskonservativer Kreise für Leute seines Schlages. Das Mitglied der Chega-Führung gilt als ideologischer Kopf der Partei, die die Salazar-Diktatur weißwaschen will. Bevorzugt beklagt er den Verfall der Moral und der „jüdisch-christlichen und zivilisatorischen Werte“ in der neuen Zeit. Mit der aussichtslosen Kandidatur und einer Verfassungsbeschwerde nach Ablehnung ihres Vorschlags möchte sich Chega einmal mehr als Opfer der etablierten Politik inszenieren.

Für die Portugiesen geht es nun im Wesentlichen weiter wie gehabt. Als eine der ersten Maßnahmen in der neuen Legislatur wollte Ministerpräsident António Costa den Haushalt verabschieden lassen. An bereits akzeptierten Vorschlägen von Linksblock, PCP, den Grünen und auch der Tierschutzpartei PAN wollten die Sozialisten dabei nicht rütteln. Vielleicht braucht man sich ja in der Zukunft erneut.

Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in RotFuchs – Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke, Nr. 290, März 2022, Seite 17