„Im unteren Drittel“

Reisemarkt boomt, Löhne hinken hinterher. Ein Gespräch mit Gerd Denzel, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi

Der vielfältigste der dreizehn Verdi-Fachbereiche kümmert sich auch um die Touristikbranche. Welche Beschäftigtengruppen vertreten Sie dort?

Bei „Besondere Dienstleistungen“ sind die Reiseveranstalter, inklusive der Reisebüros, angesiedelt. Es geht dabei bundesweit um ungefähr 70.000 Beschäftigte. Außerdem kümmern wir uns um die Luftsicherheitskräfte. Verdi betreut zum Beispiel aber auch Beschäftigte in der Luftfahrt oder auf Kreuzfahrtschiffen.

Die Deutschen reisen wie die Weltmeister, geben dafür im Jahr mehr als 90 Milliarden Euro aus. Da sollte bei den Reiseanbietern und ihren Beschäftigten genug hängenbleiben …

Das sollte man meinen. Doch würde man Kunden, die ein Reisebüro verlassen, fragen, was die Kolleginnen und Kollegen dort verdienen, wäre das sicher deutlich mehr, als diese tatsächlich erhalten. Fakt ist nämlich, dass die Einkommen der Beschäftigten in der Reisebranche im unteren Drittel liegen.

Warum ist das so?

Zum einen sind immer weniger Unternehmen in der Tarifgemeinschaft der Branche, der DRV-T. Wir schätzen, dass tatsächlich nur noch etwa elf- bis zwölftausend Leute in Unternehmen beschäftigt sind, für die der Flächentarifvertrag gilt. Darüber hinaus haben wir noch Haustarifverträge, etwa mit der TUI. Das zweite Problem ist der relativ niedrige Organisationsgrad. Damit fehlt es uns in der Branche an Durchsetzungsfähigkeit.

Wagen Sie einen neuen Streit um den Flächentarifvertrag, dessen Laufzeit am 31. März 2019 endet?

Ob wir ihn kündigen, beraten wir rechtzeitig in unserer Tarifkommission. Wahrscheinlich ja. Wir sehen uns zeitnah an, wie die Branche, die ja krisenpolitisch anfällig ist, aufgestellt ist.

Viele kleinere Reiseanbieter sind auf Tarifflucht. Ist Verdi bei bei den Mittelständlern außen vor?

Es gibt neben den „großen drei“, TUI, Thomas Cook und DER-Touristik, die etwa vierzig Prozent des Marktes beherrschen, sehr viele Kleinunternehmen. Sehr oft gibt es neben dem Inhaber nur ein, zwei Angestellte – häufig mitarbeitende Familienangehörige. Die sind natürlich auch in keinem Arbeitgeberverband und somit für uns praktisch fast nicht erreichbar.

Inwieweit orientieren sich die Kleinen bei den Vergütungen an den Großen?

Die DRV-Tarifgemeinschaft erklärt uns immer vollmundig, wir würden mit ihnen eine „Leitwährung“ vereinbaren. Dass sich tatsächlich Unternehmen außerhalb daran orientieren, bezweifle ich sehr. Es mag vorkommen, dass einzelne Komponenten, die wir vereinbart haben – wie Urlaub, Arbeitszeit – Anwendung finden.

Verdi macht Druck für die Beschäftigten der Luftsicherheit und der Servicebereiche an Flughäfen. Wirkt der bereits?

Die Gehaltstarifverträge für die Luftsicherheitskräfte sind zum 31. Dezember gekündigt. Bis Weihnachten wird es noch eine vierte Verhandlungsrunde mit dem Verband der Luftsicherheitsunternehmen geben. Die Zeichen stehen jedoch nicht auf Einigung. Daher könnten zu Beginn des neuen Jahres Arbeitskampfmaßnahmen anstehen.

Die Digitalisierung ist auch für die Touristikbranche wichtig. Wie ändert sich die Arbeitswelt dort?

ine Studie von Verdi und NGG belegt: Arbeitsplätze sind in Gefahr. Andererseits verändern sich Tätigkeiten so, dass Qualifikationsbedarf entsteht. Betroffen sind vor allem die Reiseveranstalter. Die Weiterbildung muss in einem systematischen Zusammenhang während der Arbeitszeit geschehen. Was die Reisebüros angeht: Trotz der Zunahme des Onlinevertriebs haben wir eine deutsche Besonderheit – eine stabile Anzahl. Dort herrscht sogar Fachkräftemangel. Eine bessere Bezahlung könnte dem entgegenwirken.

Gerd Denzel ist Fachgruppenleiter Touristik bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi

Digitalisierung in der Tourismuswirtschaft: Trends und Folgewirkungen. http://bit.ly/StudieDigT

Interview: Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Alternatives Reisen, Beilage der jW vom 12.12.2018, Link