Havanna rüstet auf

Das Kapitol erstrahlt wieder, ebenso das Große Theater, die Gehwege am Prado sind saniert, am neuen Hotel Packard dort wird buchstäblich Tag und Nacht gebaut. Wasserleitungen aus Columbus’ Tagen in Alt-Havanna wurden endlich ausgetauscht. Auf den Charme morscher Hütten muss man aber längst noch nicht verzichten: Aufbau und Verfall liegen in Kubas Hauptstadt ganz dicht beieinander.

Vieles ist ganz beim alten im Land ohne Geheimnisse: Die Taxifahrer schmieren die Inspekteure, weil sich ja „alles ums Geld dreht“. Hinter übersichtlich bestückten Ladentheken geht es sehr arbeitsteilig zu. Alte Leute sitzen auf Parkbänken oder am Fenster ihrer Häuser und lesen unfassbar lange in den acht Seiten der Granma. An den Wänden verblassen die Parolen, hängen Werbeschilder aus alter Zeit am letzten Nagel.

Und doch ist der Wandel sichtbar, spürbar. Das fängt bei der Passkontrolle am Marti-Flughafen in freundlicherem Ambiente an. Im Fernsehen werden von jungen Journalisten auch mal Probleme im Inland angesprochen. Kleine Lokale und Geschäfte sind entstanden, die Inhaber beseitigen gerade die Stolperfallen vor ihrer Tür, um ihren Kunden die Bekanntschaft mit den Vorzügen des Gesundheitssystems zu ersparen. Etliche Treppenaufgänge dienen als neue Souvenirläden. Kunst und Kitsch mit den vertrauten Motiven: die Alte mit der Zigarre, Amischlitten, Brüste, tropische Früchte, Che und Fidel. Immer häufiger parken direkt in der Altstadt Kreuzfahrtschiffe ein. Label wie Benetton, Diesel, Puma oder Bulgari haben sich beste Adressen um die Obispo-Straße herum gesichert. Dank des Tourismus gibt es nun mehr Arbeit und weniger Zeit, um am Malecón, der berühmten Uferpromenade, mit Freunden die Flasche kreisen zu lassen.

Die Amis sind da. Eine richtige Plage sind sie noch nicht. Sondern Auserwählte. Schon deshalb, weil sie den eigenen Behörden noch immer gute Gründe für einen Kuba-Trip nachweisen müssen, sofern sie nicht den Umweg über Drittländer wählen. Etwa die Teilnahme an einem Kongress, familiäre oder religiöse Motive, einen Rucksack voll Demokratie oder Forschungszwecke. Das gilt übrigens auch für Ausländer, welche via USA nach Kuba gelangen wollen. Nach einem halben Jahrhundert ohne, bieten Airlines aus den Staaten von New York und Miami wieder Linienflüge nach Havanna an. Irgendwie ist es gut, dass es keine Landbrücke gibt.

Bereits im November wurde bei Einreisenden mit deutschem Pass die Jahreshöchstmarke geknackt. Rekord an Rekord bringt Kubas Tourismusindustrie an ihre Kapazitätsgrenzen. Doch selbst die Hauptstadt Havanna als größte Attraktion ist längst nicht von Besuchern überlaufen, wie man das von den Reisemagneten in unseren Breiten kennt. Hotels sind ausgebucht und übernutzt, Mietwagen knapp. Die Entwicklung des Tourismussektors folgt einer langfristigen Planung, an vielen Orten sind neue Hotels im Bau, Investoren werden ins Land geholt. Italien, Spanien und Russland sind vorne mit dabei. Voraussicht ist auch bei eigenen Reiseplänen geboten: Wer sich mit den kubanischen Gegebenheiten nicht auskennt und zu wenig spanisch spricht, um wirklich jeden Preis vorab zu klären, wer seine Cocktails mit Rum statt Fusel mag, ist für den Einstieg mit einer organisierten Rundreise optimal bedient. Nur in Varadero am Strand zu sitzen, sollte man anderen überlassen. Wen das Kuba-Fieber packt, kehrt ohnehin wieder, vielleicht zu größeren Abenteuern.

Von Peter Steiniger, erschienen in: Alternatives Reisen, Beilage von junge Welt, 07.12.2016, S.6, Link