Stimmen der Hoffnung


Viele Festivalteilnehmer zeigten in Rio mit Lula-Masken, dass der Politiker nicht allein steht. Foto: Ricardo Stuckert

Das letzte Wort im Fall Lula ist noch nicht gesprochen. Für den Samstag abend riefen Verteidiger des früheren Präsidenten Brasiliens aus Kunst und Kultur zu einer Großveranstaltung ins Zentrum der Metropole Rio de Janeiro. Im Mittelpunkt des Appells, den auch soziale Bewegungen unterstützen, mit mehr als 800 Unterzeichnern aus Musik, Tanz, Literatur, Film und Theater stand die Forderung nach „der unverzüglichen Freilassung“ von Luiz Inácio Lula da Silva und nach der Respektierung des Rechts „als Grundpfeiler jedes minimal demokratischen Systems“. Der Fall habe eine in der jüngeren Geschichte des Landes „einmalige Symbolkraft“. Der Politiker der Arbeiterpartei (PT) sitzt seit dem 7. April in Curitiba im Gefängnis. In einem Prozess um ein ihm angedichtetes Luxusappartement war Lula zuvor in zwei Instanzen verurteilt worden und soll noch zwölf Jahre in Haft bleiben. Der Kandidat der PT ist der aussichtsreichste für die im Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen.

Mindestens 80.000 Menschen folgten der Einladung der „Arbeiterinnen und Arbeiter der Künste und der Kultur“, die sich nicht nur an Lulas Parteigänger richtete. Dicht an dicht verfolgten sie das Geschehen auf der nächtlichen Praça dos Arcos da Lapa, dem Platz vor dem berühmtem Aquädukt der Stadt am Zuckerhut. Überall zu sehen waren Losungen mit der Forderung nach Freiheit für Lula, immer wieder erklangen Sprechchöre. Viele trugen Lula-Masken, um zu verdeutlichen, dass der politische Gefangene durch sie alle repräsentiert wird.

Auf der Bühne waren Dutzende bekannte Artisten aus Brasilien und anderen Ländern zu erleben. Die Samba-Sängerin Beth Carvalho trat ebenso auf wie Chico César, Nelson Sargento oder Odair José. Für Lula sangen auch die Venezolanerin Cecilia Todd und der kubanische Liedermacher Eduardo Sosa. Bis nach Mitternacht wechselten sich Musik, Rezitationen und politische Erklärungen ab. Der Befreiungstheologe Leonardo Boff sprach von seinem Traum eines Brasiliens, in dem die Demokratie tatsächlich vom Volk ausgeht. Ein emotionaler Höhepunkt gegen Ende der Show wurde der gemeinsame Auftritt von Chico Buarque und Gilberto Gil. Gemeinsam sangen sie „Cálice“, ein Lied, das bereits in den 1970er Jahren für den Widerstand gegen die Repression während der Militärdiktatur Symbolkraft erlangte.

thumbnail of 2018-07-30-Stimmen der HoffnungVor Beginn erlebten Festivalteilnehmer Schikanen durch Beamte der regionalen Wahlbehörde. Fahnen, Flugblätter und Aufkleber wurden beschlagnahmt. Es handele sich um unerlaubte Werbung für einen Kandidaten vor der Wahlkampfperiode. Die Hauptnachrichtensendung „Jornal Nacional“ aus dem Hause Globo hatte ihr Thema, für den Bericht vom Festival blieben nur Sekunden. Im Fall einer neuen Regierung Lula verspricht die PT, eine Ära einzuleiten, in der wieder die Interessen Brasiliens und die der Mehrheit der Bevölkerung im Mittelpunkt stehen. Sie will die nach dem parlamentarischen Putsch gegen Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff 2016 praktizierte Politik der Privatisierungen und der Liquidierung sozialer Rechte vollständig rückgängig machen.

Annullierung droht allerdings auch der für den 15. August geplanten Registrierung Lulas bei der Obersten Wahlbehörde in Brasília. Die Entscheidung liegt bei der politisierten Justiz. Die öffentliche Meinung wird von den tonangebenden Konzernmedien aufgeheizt und ist scharf polarisiert.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 30.07.2018, Seite 1, Link