Geisterseher des Tages: Michel Temer

Wie man sich bettet, so liegt man. Die Federn sollten wuschelweich sein, auch das Umfeld muss stimmen. Der Verlauf der Wasseradern unter der Matraze, das ganze Yin und Yang einer Behausung kann einen sanften Schlummer fördern.

Man kann sich weniger lauschige Orte vorstellen, als das von Wasser umspielte, von hellem Grün umstandene Dienstgebäude brasilianischer Staatschefs, den Palácio da Alvorada. 1958 wurde dieses Meisterwerk der Moderne, entworfen von Oscar Niemeyer, fertiggestellt, noch vor Vollendung der neuen Hauptstadt Brasília.

Seit Anfang März steht die Nobelherberge leer. Präsident Michel Temer bevorzugt sein altes Zuhause und wohnt nun wieder im Palácio do Jaburu, ebenfalls ein Niemeyer-Bau, benannt nach einer Vogelart. Im Volksmund ist diese auch ein Synonym für eine Frau, die man sich nicht schön trinken kann. So, wie es den meisten Brasilianern mit ihrem Staatschef geht.

thumbnail of jw-2017-03-13-geisterseher_temerEigentlich hatte sich Temer mit dem Einzug in den Palast der Morgenröte nach geglücktem Komplott gegen Präsidentin Rousseff einen Traum erfüllt, was ihm der Wähler nie gönnen wollte. Und doch bekam der 76jährige des Nachts hier kein Auge zu. Gattin Marcela ging es genauso, 42 Jahre jünger scheidet senile Bettflucht bei der Schönheitskönigin a. D. aus. Neue Wandfarben und Bilder hatte sie ausgewählt, für hübsche Wohnaccessoires gesorgt. Kosten und Mühe waren vergeblich. Nach zwölf durchwachten Nächten langte es den beiden.

Die Korruptionsaffären, in denen Temer und seine politischen Freunde stecken, sollten ausreichen, ihm den Schlaf zu rauben. Der Zeitschrift Veja nannte Temer nun jedoch ganz andere Gründe für die Flucht aus dem Alvorada. „Die Energie war nicht gut.“ Etwas Seltsames habe man dort gespürt. Vielleicht ein Gespenst? Selbst ein Priester konnte nichts ausrichten. Gegen den Fluch der bösen Tat sind auch Gebete und Weihwasser machtlos.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 13.03.2017, S. 8, Link