Die Küche bleibt rot: Soljanka

Es war nicht alles Banane, was die DDR „unseren Menschen“ zu bieten hatte. Zum Beispiel gab es viel Eintopf. Nur folgerichtig in einer Gesellschaft, die sich der Gleichheit verschrieben hat und die das Kollektiv über individuelle Neigungen stellt. Einer schaffte es sogar zum Nationalgericht im ostdeutschen Staat.

Egal, ob Betriebskantine oder Clubgaststätte – überall zwischen Ostseestrand und Fichtelgebirge setzten die Kellnerinnen und Kellner (die in der sozialistischen Gastronomie über den Gast herrschende Klasse) ihre Striche hinter das Kürzel „Soli“. Die Essenszuträger erfassten damit nicht die Spendenbereitschaft für das „Solidaritätskomitee der DDR“, sondern nahmen die Gesuche derer auf, die sich die Fleisch-Gemüse-Suppe Soljanka orderten. Ein Akt des Internationalismus war es dennoch: Schließlich war das Rezept dazu bei der Befreiung Deutschlands von der braunen Soße auf den Bajonetten der Roten Armee hierher gelangt. Und mit ihr geblieben.

Trotz der wachsamen Augen der Arbeiter- und- Bauern-Inspektionen war die Zusammensetzung dessen, was dann in Teller oder Tasse schwappte, oft unergründlich. Küchenreste waren in der Mangelwirtschaft unbekannt. Der Popularität der roten, sauer-scharfen Pampe tat dies keinen Abbruch. Das  werktätige Volk hat eben einen starken Magen.

Auch in den heimischen Durchreicheküchen wurde fleißig Soljanka fabriziert. Die richtige Stärkung in jenen Zeiten, als sich Bauerarbeiterinnen noch Bauarbeiter, Schlosserinnen noch Schlosser und Traktorfahrerinnen noch Traktorfahrer nannten – dafür aber real existierten. Doch nicht nur im Beruf, auch am Kochtopf standen beide Geschlechter gleichwertig ihren Mann.

Nach der Unterwerfung unter den großen Götzen Mammon bekamen die Zonis bald Magendrücken vom westlichen Manna. Der singende Braunkohlebaggerfahrer und Umweltschützer Gerhard Gundermann fasste diese nicht nur kulinarische Desillusion in folgende Zeilen:

„Dann war ich es satt,
ewig mageren salzigen Fisch,
sah durch mein Glas die Tomaten dort auf deinem Tisch.
Die schmeckten nach Pappe, und deine Weiber, die waren frigid.
UND DAFÜR HAB ICH MEIN FEUER AM STRAND GELÖSCHT UND MEIN LIED.“

Nie ganz gelöscht wurden die Feuer unter den Soljanka-Kesseln der Ossis. Die Kohls, Schröders und Merkels kommen und gehen, die „Soli“ aber bleibt. Mittlerweile findet sie sich im deutschen Mezzogiorno selbst auf den Karten piekfeiner Italiener und Chinesen. In den Regalen der Discounter-Kaufhallen gibt es das kommunistische Erbe jetzt sogar in Konservenform. Als Büchsensuppe sei sie all jenen ans Herz gelegt, die sich beim Selberkochen einfach zu mädchenhaft anstellen. Denn eine Soljanka ist nun mal keine lasche Weightwatch-Kreation, die Frauchen mal eben so zwischen Gender-Studies, Maniküre und Tennisstunde in ihrer AJAX-geleckten Musterküche zusammenrührt. Damit die starke rote Suppe gelingt, ist echtes werktätiges Schaffen angesagt.

Text und Rezept:
Miss Tilly – Das Frauenmagazin im Internet

Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.misstilly.de/artikel/soljanka.html