„Demokratisch zum Sozialismus“

Carlos Brito, Jahrgang 1933, ist ein portugiesischer Schriftsteller und marxistischer Politiker. Während der Diktatur wurde er drei Mal wegen politischer Betätigung verhaftet und insgesamt acht Jahre lang eingekerkert.

Seit 1967 gehörte er der Direktion der illegalen Kommunistischen Partei (PCP) an, die er nach der Nelkenrevolution 1974 als Parlamentsabgeordneter bis 1991 vertrat, davon 15 Jahre als Fraktionsvorsitzender. 1980 war er Kandidat der PCP zu den Präsidentschaftswahlen und leitete von 1992 bis 1998 deren Zentralorgan Avante! Nach parteiinternen Auseinandersetzungen zählte Brito 2002 zu den Mitbegründern einer Vereinigung kritischer Kommunisten, der Renovação Comunista.

Sie sind ein Urgestein der portugiesischen Politik und waren einer der Mitgestalter der Nelkenrevolution von 1974. Den Weg der Kommunistischen Partei haben Sie über Jahrzehnte im engsten Umfeld von Generalsekretär Álvaro Cunhal (1913–2005) mitgeprägt. Auch nach Ihrem Abschied aus der Partei mischen Sie sich weiter in die politische Debatte ein. Was hat Sie in den antifaschistischen Widerstand geführt?

Es ist mir wichtig, in der schwierigen aktuellen Situation meines Landes Position zu beziehen und Erfahrungen weiterzugeben. Derzeit bin ich mit der Neuauflage eines Buchs über Subversion und Widerstand in den zwei Jahrzehnten vor dem 25. April 1974 beschäftigt. Darin schildere ich auch, wie ich zur PCP  gestoßen bin, als Sohn eines Politikers der Ersten Republik. Ich kam in Afrika, in Mocambique zur Welt, wohin mein Vater deportiert war. Er war einer der Anführer des linken Flügels der Republikanischen Partei, und ich wurde entsprechend republikanisch erzogen. Meine Mutter vermittelte mir großen Respekt vor diesen Idealen, in Opposition zum Regime. Ich war bereits in studentischen und literarischen Zirkeln in Lissabon aktiv gewesen und hatte mit 20 Jahren bereits das erste Mal Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht, als mich die PCP rekrutierte.

„Das Leid geht vorbei, der Verrat bleibt“ – diese Zeilen aus dem Gefängnis stehen für Ihre Standhaftigkeit vor den Polizeischergen. Im Jahr 1967 wurden Sie in die Direktion der Partei berufen, die seit 1961 – nach seiner spektakulären Flucht aus der Festungshaft in Peniche – von Cunhal aus dem Exil in der Sowjetunion und in Prag geleitet wurde. Der PCP drückte er nachhaltig seinen Stempel auf. Was waren seine Maximen, und wie wirkte er in die kommunistische Bewegung hinein?

Álvaro Cunhal war ein Revolutionär durch und durch, mit Standhaftigkeit und festen Überzeugungen. Er war in meinen Augen kein Stalinist, sondern hatte sehr kritische Ansichten in bezug auf den Stalinismus. Auch den militärischen Sprachgebrauch, den Stalin in die kommunistische Bewegung einführte, hat Cunhal nie benutzt. Was nicht heißt, daß Cunhal nicht auch sehr von den Konzeptionen der 1930er Jahre geprägt war. Bei ihm findet sich ein ständiger Gegensatz zwischen Offenheit und Weite im politischen Denken und einer Enge, wenn es sich um die Konkretisierung handelt, wenn es darum geht, Disziplin durchzusetzen. Dem Demokratischen Zentralismus blieb er stets treu. Auch dem Euro-Kommunismus gegenüber war er sehr distanziert. Dennoch tat er viel, um vor allem mit der italienischen Partei im Gespräch zu bleiben. In bezug auf die Perestroika in der Sowjetunion denke ich, daß Cunhal überzeugt davon war, daß es sich um eine positive Entwicklung, um die Korrektur von Fehlern und Mängeln in der Realität des Sozialismus handele. Ich war mit ihm auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU und wir verfolgten enthusiastisch die Reden Gorbatschows und die Debatten. Auch ich kam mit der Überzeugung zurück, daß es, trotz einiger Radikaler wie Jelzin und auch vieler Konservativer, eine Hauptlinie gäbe, die in die richtige Richtung zeigte. Mit Glasnost hatte Cunhal dann ein paar Probleme, und er setzte sich für ein Verbot des Verkaufs der sowjetischen Zeitschriften Neue Zeiten und Sputnik in unseren Parteibüros ein. Das sagte er Gorbatschow auch.

Im Rückblick führte die Umgestaltung zum Untergang der Sowjetunion. War das noch der richtige Kurs?

Sie kam wohl zu spät. Bestimmte Sektoren der Wirtschaft und ihre Leitungen waren schon „verfault“. Da waren längst nicht mehr die Oktoberrevolutionäre, sondern die Karrieristen aus späteren Generationen, welche sich die Öffnung zunutze machten, um zum Kapitalismus zurückzukehren. Vielleicht wäre zu Chruschtschows Zeiten noch etwas möglich gewesen. So endete Gorbatschow als Zauberlehrling, welcher die Kräfte, die er entfesselte, nicht mehr kontrollieren konnte. Doch ein Prozeß der Erneuerung und der Korrektur war absolut notwendig.

Kommen wir zurück zu Portugal. Am Tag des Militäraufstands, der am 25. April 1974 die faschistische Caetano-Regierung beseitigte, befanden Sie sich in Lissabon. Wie haben Sie diesen historischen Moment erlebt, und wie haben sie damals agiert?

Von den Ereignissen wurde ich nicht wirklich überrascht. Wir Kommunisten verfolgten sehr genau die Entwicklung in den Streitkräften und wirkten in diese hinein. Wir gaben revolutionäre Flugschriften – die IRFA (Informacao Revolucionária para as Forcas Armadas) – für die Militärs heraus. In Lissabon hatten wir einen kurzen Draht zur Bewegung der Streitkräfte, MFA, durch Major Melo Antunes, einem ihrer ideologischen Köpfe und uns ein guter „Reisegefährte“ – er stand der PCP also sehr nahe. Allerdings waren wir gerade ohne Kontakt zur Parteiführung im Ausland, welche die herangereifte revolutionäre Situation noch unterschätzte. Ich leitete die Regionalorganisation der Lissaboner Partei. Am Vorabend lud ich drei Genossen, wir waren zwei Männer und zwei Frauen, zu einer kleinen Feier ein. Wir aßen, tranken und spielten Karten. Als über den Rundfunk das Kommuniqué der MFA über den Staatsstreich kam, standen wir spontan auf. Ich trat über Genossen in Verbindung zur MFA-Führung, um den genauen Stand der Lage zu erfahren. Es gab kaum Widerstand, und bei der Besetzung des Regierungsviertels verweigerten auch eigentlich regimetreue Einheiten den Schießbefehl gegen die Aufständischen. In einer Wohnung im Stadtteil Benfica installierten wir den ersten provisorischen Sitz der Partei und gingen schon am frühen Morgen des 26. April auf eigene Faust mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Darin begrüßten wir den Staatsstreich als Kulminationspunkt der Krise des Regimes, welches unter Salazar und seinem Nachfolger Caetano 48 Jahre lang das portugiesische Volk unterdrückt hatte. Wir forderten ein Ende des Kolonialkrieges und die Einrichtung demokratischer Verhältnisse in Portugal. Wir forderten die restlose Zerschlagung der Geheimpolizei PIDE-DGS, die Freilassung der politischen Gefangenen und Möglichkeiten zur Rückkehr für die politisch Exilierten. Die Massen strömten zur Partei, und schnell mußten wir uns nach einem größeren Quartier umsehen. Der Bahnhof von Benfica war groß genug und wurde zum nächsten Sitz der Lissaboner Partei. Stationsvorsteher Malheiros war schließlich auch PCP-Genosse.

Die Nelkenrevolution hat damals Menschen in aller Welt begeistert. Die stürmische Entwicklung, die Euphorie der Massen auf den Straßen schienen in Portugal – einem NATO-Land in Westeuropa – den Sozialismus auf die Tagesordnung zu setzen. Doch es kam anders …

Richtig. Zum Zeitpunkt des Umsturzes schloß sich nicht nur die städtische Arbeiterschaft, sondern auch die Dorfbevölkerung der Revolution an. Das hatte seinen Grund vor allem in einer allgemeinen Ablehnung des Kolonialkrieges in Angola, Moçambique und Guinea-Bissau. Viele unserer jungen Männer kamen darin um, kehrten psychisch krank oder körperlich verstümmelt daraus zurück. Damit sollte endlich Schluß sein. Doch bald startete vor allem der Klerus große Angstkampagnen gegen die Kommunisten. Diese würden die katholische Kirche liquidieren wollen und die Gläubigen verfolgen, hieß es in dieser Propaganda. Sie fiel vor allem im religiöser geprägten Norden des Landes auf fruchtbaren Boden. Das eskalierte im „Heißen Sommer“ 1975 mit zahlreichen Anschlägen und Brandstiftungen gegen unsere Parteibüros. Die Gegensätze zu den städtischen und industriellen Gebieten und zum Landarbeiterproletariat im Süden, wo kommunistische und sozialistische Ideen mehr Rückhalt hatten, traten immer deutlicher hervor. Auch innerhalb der revolutionären Bewegung taten sich große Klüfte auf, zwischen Kommunisten und Sozialisten, zwischen den Fraktionen innerhalb der MFA. Der Ausgang der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung am 25. April 1975 war für die PCP ernüchternd. Die Sozialisten unter Mario Soares waren die großen Sieger. Wir Kommunisten erhielten nur 12 Prozent und unser Alliierter, die Portugiesische Demokratische Bewegung, MDP, vier. Die politische Rechte sah sich gestärkt. Die PCP argumentierte nun damit, daß die revolutionäre Logik anderen Gesetzen als diese Wahlen folge, die ja nur für eine Konstituierende Versammlung ausgeschrieben waren, und daß dies noch keine Entscheidung über die Richtung, keine Wahl über das politische Modell für das Land oder eine Regierung gewesen wäre. Doch die Dinge entwickelten sich genau so. Innerhalb der revolutionären Bewegung der Streitkräfte, auf dem ultralinken Flügel der MFA, gab es allerdings eine Tendenz, den Ausgang dieser Wahl nicht anzuerkennen und die PCP in das Vorhaben einzubeziehen, das Land gewaltsam in ein Volksdemokratie osteuropäischen Typs zu verwandeln.

Die PCP wollte ebenfalls keine Demokratie westlichen Musters. Welche Rolle hatte die Partei der Demokratie beim Weg zum Sozialismus – in der Verfassung Portugals von 1976 sogar verankert – zugedacht?

Ein demokratisches Portugal auf dem Weg zum Sozialismus – das war die Formel. In politischer Hinsicht wurde an eine demokratische Lösung mit Wahlen gedacht, innerhalb derer aber die Militärs noch eine Weile eine wichtige Rolle spielen sollten, und in bezug auf Wirtschaft und Soziales an ein Modell, in dem das Großkapital liquidiert würde. Obwohl es weiterhin Privateigentum geben sollte. Die wichtigsten industriellen Sektoren sollten nationalisiert und eine Agrarreform durchgeführt werden, welche den Großgrundbesitz im Süden ganz beseitigt und die Situation der Kleinbauern im Norden verbessert. Folglich war keine Demokratie beabsichtigt, wie sie in Frankreich, Belgien oder anderswo in Westeuropa bestand. Meiner Meinung nach war diese Parole jedoch abwegig. Es gab eine riesengroße portugiesische Emigration in Frankreich, Belgien, Luxemburg, in Großbritannien und in Westdeutschland. Und unsere Leute lebten dort sehr gut – verglichen mit der Situation, die sie in Portugal erlebten. Die Losung, daß dies für Portugal nicht interessant sei, sondern daß dieser Weg zur Ausbeutung des Volkes führen würde, konnten die Menschen nicht nachvollziehen. Statt sie für die Sache der PCP zu gewinnen und für das Modell von Demokratie, welches sie vertrat, wurden im Gegenteil die Menschen sogar verprellt. Sie verstanden auch nicht, was es mit diesen Nationalisierungen auf sich hatte und der Rede von der Zerschlagung der Monopole. Aber sehr begreiflich war ihnen ein demokratisches Regime, wie es in Frankreich vorzufinden war. Allein dort lebten 700000 Portugiesen. Und deren Verbindung zum eigenen Land war eine sehr enge. Das Beharren auf solchen Losungen war also nicht sehr hilfreich.

Die provisorische Regierung von Ministerpräsident Vasco Gonçalves forcierte nach einem gescheiterten Rechtsputsch von General Spínola vom März 1975 den sozialistischen Kurs. Mit der Verstaatlichung von Banken und Versicherungen und der Enteignung von Großgrundbesitz wurde in die Eigentumsordnung eingegriffen. Das entsprach doch dem Konzept der PCP?

In dieser Phase gewann der linke MFA-Flügel den bestimmenden Einfluß. Zum Teil hatte dieser sehr enge Beziehungen zur Partei, obwohl viele seiner Vertreter zwar keine Mitglieder waren, aber so dachten wie die PCP.

Das trifft wohl auch auf Vasco Gonçalves selbst zu…

Durchaus. Diese Entwicklung innerhalb der MFA ermutigte die Partei dazu, sehr weit zu gehen, mit einem radikaleren Programm. Die Niederlage dieses Sektors im Militär nahm seinen Anfang aber bereits mit besagtem Ausgang der ersten Wahlen. Jener Major Melo Antunes, der unser treuer Verbündeter in der Periode des 25. April war, stand nun an der Spitze einer gemäßigten Strömung, der „Gruppe der neun“, die in den Streitkräften schnell an Einfluß gewann – und gegen Vasco Gonçalves. In diesem Sommer ’75 kamen wir in eine sehr kritische Situation. Die KP-Führung und vor allem Cunhal hatten da einen Moment großer Geistesklarheit: „Wir sind ein bißchen weit gegangen, laßt uns versuchen, die Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bringen.“ Die PCP nahm hier eine Änderung ihrer Taktik vor. Mit einer Annäherung von Kommunisten und Sozialisten sollte versucht werden, auch die „zerstrittenen Brüder“ im MFA einander wieder näherzubringen. Doch dann kommt es zur großen Konfrontation am 25. November 1975. Radikale Fallschirmjäger verlassen die Kasernen, auch Militärs mit Verbindung zur PCP, wenngleich ein bißchen am Rande der Parteilinie agierend. Die PCP deckt das nicht. Melo Antunes und auch der Staatspräsident, Costa Gomes, sind auf das dilletantische Vorhaben brillant vorbereitet und vereiteln es sofort mit ihren gut organisierten Kräften. Sie waren dabei keine Konterrevolutionäre, trotz allem wollten sie ein Modell tiefgehender Veränderungen, eine fortgeschrittene Demokratie. Die PCP hatte ein gutes Verhältnis zu Costa Gomes, und Melo Antunes bewies seinerseits Verbundenheit. Im Moment seines Sieges trat er mit einer bewegenden Erklärung vor die Fernsehkameras. Es dürfe keine Repressionen gegen die Kommunistische Partei geben, sie sei unverzichtbar sei für die Revolution. In einem Moment, in dem die reaktionärsten Kräfte einen Überfall und die Auslöschung der Partei wollten. Doch von diesem Tag an war die militärische Linke unterlegen.

Die portugiesische Revolution spielte sich nur kurze Zeit nach der gewaltsamen Beseitigung der Volksfront­regierung von Salvador Allende in Chile ab. Hat dieses Beispiel Einfluß auf die politische Taktik der PCP gehabt?

Unsere Sorgen hier waren vor allem von dem geprägt, was sich 1965/66 in Indonesien abgespielt hatte. Die KP dort war eine der größten weltweit, mit gewaltigem Einfluß, aber sie verwickelte sich in die Auseinandersetzungen nationalistischer Militärs. Cunhal kannte aus seiner Moskauer Zeit sehr gut deren Parteiführer. Wir hatten vor Augen, wie die indonesische KP sich zwischen den Fraktionen der Militärs zerrieb und schließlich durch die schlimmsten Repressionen, welche die Welt erlebt hat, quasi ausgelöscht wurde. 500000 Kommunisten und Sympathisanten wurden, mit Unterstützung der Amerikaner, abgeschlachtet. Das war uns gegenwärtiger als der chilenische Prozeß.

Was hat der Westen im Fall von Portugal unternommen, um einen Ausbruch des Landes aus seinem Lager zu vereiteln?

Die ausländischen Mächte stimmten ihre Linie und Handlungen mit der Rechten und den Sozialdemokraten ab. Eine zentrale Rolle spielte US-Botschafter und CIA-Mann Frank Carlucci. Es gab Szenarien, die Regierung aus dem unter starkem kommunistischem Einfluß stehenden Lissabon in den Norden des Landes zu verlegen. Daraus wurde aber nichts, und es brauchte dann auch gar nicht so weit zu kommen. Die USA waren nicht bereit, ein NATO-Land ziehen zu lassen. Es ging ihnen stets darum, die Kommunisten mit allen Mitteln aus deren Regierungen fernzuhalten. Vasco Gonçalves berichtet darüber in seinen Memoiren. Auf den NATO-Treffen, an denen er teilnahm, war dies immer ein wesentlicher Punkt, Teil der Geschäftsgrundlage. Sogar in Italien, mit einer so starken Kommunistischen Partei, war das so. Und welches Schicksal dem Christdemokraten Aldo Moro widerfuhr, der sich für einen Eintritt der KP in die Regierung aussprach, ist ja bekannt.

Und wie stand es um die Unterstützung des sozialistischen Lagers für den revolutionären Prozeß?

Zur DDR hatte die PCP schon vor der Nelkenrevolution exzellente Beziehungen. Sie war auch das Land, welches uns, abgesehen von der Sowjetunion, am meisten unterstützte. Von dort kam auch die Druckerei, in der wir unsere Zeitung Avante! druckten. Landwirtschaftliche Kooperativen erhielten Technik und Geräte aus der DDR. Leider ist von der Bodenreform nicht viel übrig geblieben.

Sie gehörten zu den Kritikern innerhalb der Parteiführung, welche 2002 nach heftigen Auseinandersetzungen – freiwillig oder unfreiwillig – die PCP verließen, und beklagen einen Sieg des konservativen Flügels. Sie macht doch heute – mit Jerónimo de Sousa als Generalsekretär – einen wieder gefestigten Eindruck?

Sein Vorgänger Carlos Carvalhas begann als Erneuerer und endete als jemand, der mit hinter den Maßregelungen gegenüber diesem Flügel stand. Doch vor allem stand dahinter Cunhal, der trotz seines hohen Alters die Kontrolle nicht abgeben konnte. Er dachte, daß wir eine Sozialdemokratisierung der Partei vorhätten, was nicht stimmte. Niemand aus dieser Strömung ist in diese Richtung gegangen, wir sind alle weiterhin Kommunisten, Revolutionäre. Einige gingen zum Linksblock (BE), doch niemand zur Sozialdemokratie. Die PCP hat sich stabilisiert, doch auf einem Niveau von unter acht Prozent der Wählerstimmen. Sie ist eine sehr abgeschottete Partei, die sich gegenüber anderen politischen Kräften wenig öffnet. Sie hat weiter eine wichtige Rolle im Widerstand gegen das Kapital, in der Krise, welche wir gegenwärtig erleben. Wir haben nun die schlimmste Rechtsregierung seit der Revolution, auf einer Linie mit radikalem Neoliberalismus. Sowohl PCP als auch BE tragen Mitverantwortung an dieser Situation. Beide denken nur an ihren eigenen kleinen Garten. Sie verstehen sich untereinander nicht und sind zu sehr darauf fixiert, alles abzuwerten, was aus Richtung der Sozialisten kommt. Meine Parteimitgliedschaft wurde damals für zehn Monate suspendiert – danach habe ich mich politisch selbständig gemacht.

Ich wollte nie eine neue Partei neben der PCP gründen, ich war strikt dagegen. Die PCP ist eine große kommunistische Partei. Wir haben eine Vereinigung gebildet, die Kommunistische Erneuerung. Wir sind Marxisten, wir beziehen uns auch auf Lenin, nicht aber auf den Marxismus-Leninismus. Wir führen Menschen zusammen und publizieren. Wir wollen Brückenbauer sein zwischen den Linken im heutigen Portugal, von der KP, über den Linksblock bis hin zum linken Flügel der PS. Unser Land braucht eine breite linke Übereinkunft für eine andere Politik.

Carlos Brito ist Autor von bisher neun Büchern, darunter Romane, poetische Werke und Abhandlungen zur portugiesischen Geschichte. Zuletzt erschienen seine Erinnerungen an den 2005 verstorbenen langjährigen Führer der PCP: Álvaro Cunhal. Sete fôlegos do combatente (Sieben Kraftakte des Kämpfers), Edições Nelson de Matos, Lissabon 2010, 381 Seiten
Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, Sa/So, 24. September 2011, Nr. 223, Beilage „faulheit & arbeit“, S.1-2, https://www.jungewelt.de/2011/09-24/001.php