David gegen Goliath

Die Globo-Gruppe ist der Meinungsmacher schlechthin im größten Land Südamerikas. Hier werden Präsidenten gemacht oder gestürzt. Dem Printmarkt drückt das Medienkonglomerat mit Zeitungen und Zeitschriften ebenso seinen Stempel auf wie dem Radio, mit Unterhaltungssendungen aller Art, Fußball und Telenovelas vor allem der audiovisuellen Branche. Längst auch im Internet. Globo produziert im großen Stil Musik, Serien für Netflix und Co. sowie Kinofilme.

Der Milliardenkonzern mit vielen Geschäftsfeldern ist in ganz Lateinamerika aktiv. Die von Rede Globo, einem der weltgrößten TV-Netzwerke, produzierte und verbreitete Hauptnachrichtensendung „Jornal Nacional“ ist für Brasilien so etwas wie eine nationale Institution, seine Sprecherinnen und Sprecher sind Stars. Was JN mitteilt, wird abends ab halb neun in Hütten und Palästen vom Amazonas bis hinunter zum Rio Branco seit fast einem halben Jahrhundert für bare Münze genommen.

Und wem gehört das alles? 1925 von dem Zeitungsmacher Irineu Marinho in der damaligen Hauptstadt Rio de Janeiro gegründet, kommandiert der Familienclan das Privatunternehmen, das Brasiliens Medienlandschaft klar dominiert, bis heute. 1964 unterstützte Globo den Putsch der Generäle, der als „Revolution“ begrüßt wurde, welche Brasilien aus einer angeblichen kommunistischen Gefahr errettete. In den 21 Jahren der zivil-militärischen Diktatur expandierte der Konzern. Der Staat unterstützte das unter anderem als wichtigster Anzeigenkunde in großem Umfang. Bis heute partizipiert Globo auf diesem Weg beträchtlich an öffentlichen Mitteln.

Der Konzern wurde während der Militärherrschaft strategisch ausgebaut, um insbesondere über das neue Medium Fernsehen den Massen das Selbstbild des Systems zu vermitteln, sie ansonsten von der Politik fernzuhalten und den Nationalismus zu fördern. In seinen Anfängen ab der Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch exklusiv an die obere Mittelklasse und weiter aufwärts gerichtet, breitete sich das Fernsehen seit den 1970er Jahren bis in jeden Winkel Brasiliens aus, mit Hilfe eines dichten Sendernetzes und von Übertragungen per Satellit. Bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts war jeder zweite in Brasilien ein Analphabet, und bis heute ist der „Riese“ keineswegs ein Leseland. Dafür erreicht TV Globo mit seinen News bis heute dort faktisch jede und jeden.

thumbnail of 2018-05-16-03-David gegen GoliathAuch im Internetzeitalter bleibt die Mattscheibe ein mächtiger Faktor. Ein wichtiger Quotenbringer sind Kriminalgeschichten und die Skandalisierung der Korruption. Die Justiz arbeitet den großen Medien dabei zu, nicht selten am Gesetz vorbei. Rede Globo prägt die öffentliche politische Meinung ebenso mit wie die Kultur des Landes. Eine Kultur, in der die Gewalt bereits tief verwurzelt ist. Diese reicht zurück auf die Kolonisierung Brasiliens als rücksichtslose Bereicherung nach dem Recht des Stärkeren und die Ära der Sklaverei, die offiziell erst 1888 endete. Die soziale und rassische Spaltung währt bis heute.

Die Sehnsucht nach dem märchenhaften Leben der Reichen und Schönen – der oberen Zehntausend, wie es Globos klassische Telenovelas dem Publikum verkaufen – nimmt in der Realität zumeist ein böses Ende. Den Traum vom schnellen Geld wollen viele von denen, die rein nichts zu verlieren haben, um jeden Preis verwirklichen. Geschäfte mit Drogen und Waffen boomen, schon ein Straßenraub kann leicht tödlich enden.

Die Marke Globo steht für erstklassigen Journalismus und Glanzleistungen auf kulturellem Gebiet ebenso wie für dreiste politische Manipulation. Die Medien der Gruppe trieben den Putsch neuen Typs, bei dem Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) 2016 durch den Kongress ihres Amtes beraubt wurde, mit voran. Eine neue Doku soll Licht auf diese Geschichte werfen. Bereits seit Mitte 2013 hatte Globo demonstriert, wie sich eine Krise dazu auszunutzen lässt, eine Manövriermasse auf die Straßen zu puschen. Dennoch zogen das rechte Lager und seine Medien bei den Wahlen 2014 den kürzeren.

Heute blenden Brasiliens große Medien den Kampf der Linken gegen die faschistische Gefahr und den Widerstand gegen die illegitime Temer-Regierung weitgehend aus. Trotz einer langen, mit Lügen gespickten Kampagne gegen den PT-Gründer Lula da Silva, seit dem 7. April politischer Gefangener, wäre der frühere Präsident im Herbst bei freien Wahlen weiter der klare Favorit. Die Medien der Geldeliten ermutigen das Militär, aus der Reserve zu kommen, führen ihre Angriffe auf die Demokratie fort. Globo schießt mit seinen Waffen weiter mit.

Fabrik für Putsche

Mit welchen Methoden wirkten die Globo-Medien in Brasilien auch am justiziellen und parlamentarischen Putsch 2016 gegen Dilma Rousseff mit, nachdem sie schon 1964 den Staatsstreich der Generäle unterstützt hatten? Dem wollen die beiden in London lebenden brasilianischen Journalisten Victor Fraga und Valnei Nunes in einer neuen Dokumentation nachgehen, die internationale Verbreitung finden soll. Die beiden Filmemacher möchten mit ihrem Projekt, das den Titel „Die phantastische Fabrik für Putsche“ trägt, eine Debatte über die unheilvolle Rolle der großen privaten Medien bei der Destabilisierung der Demokratie im größten Land Südamerikas anstoßen. Daran beteiligen werden sich auch alternative Medien sowie Forschungsgruppen und Stiftungen aus Brasilien selbst.Die englisch-brasilianische Koproduktion möchte an die bereits 1993 vom britischen Fernsehsender Channel 4 ausgestrahlte Dokumentation „Beyond Citizen Kane“ von John Ellis anknüpfen, die akribisch aufzeigte, wie Rede Globo über seine Kanäle jahrzehntelang die brasilianische Öffentlichkeit im Interesse des großen Kapitals manipulierte und aktiv Politik gegen die Arbeiterpartei und deren Mitbegründer und Führer Lula da Silva betrieb. Das neue, mehrsprachig angelegte Projekt wird darauf zurückblicken und demonstrieren, dass eine parteiische Berichterstattung und die Dämonisierung der Linken bei Globo weiterhin Konstanten bilden. Neben dokumentarischem Material sollen exklusive Interviews mit prominenten Politikern, Intellektuellen und Journalisten – darunter Dilma Rousseff, Paulo Henrique Amorim und Naomi Klein – Eingang in die Doku finden.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 16.05.2018, Seite 3 / Schwerpunkt, Link