Als Lehrer eine Fehlbesetzung

Versuchen wir das Unmögliche

Dafür fehlt mir vielleicht ein Gen: Lehrer zu sein, habe ich mir nie gewünscht. Überhaupt beschränkt sich mein Interesse an schulischen Angelegenheiten auf das Notwendige, mit Elternversammlungen konnte man mich stets nur schwer locken. Diese leichte Ignoranz korrespondierte ganz gut mit dem schwachen Mitteilungsbedürfnis des mittlerweile Zwölfjährigen zu seinem Schulalltag. Wie war es heute? Ähm, schulisch. Was habt ihr Neues gelernt? Ähm, schulische Dinge. Alles Weitere musste ich meinem Sohn nach überlangen Schultagen »aus der Nase ziehen«. Dabei geht er doch gern in seine multikulturell aufgestellte Europa-Schule – zum Lernen und erst recht, um seine Freunde zu treffen. Und auch ich habe wegen der engagierten Pädagogen dort, des freundlichen Klimas und des Geistes, der an dem Haus herrscht, das einmal den Namen der Che-Mitkämpferin Tamara Bunke trug, ein gutes Gefühl. Kinder lernen dort etwas, sind gut aufgehoben.

Der Frühling rückte an, Corona zog herauf, und wir alle werden seitdem wie Klippschüler behandelt und beschimpfen uns gegenseitig mit viel neuem Vokabular und steiler Lernkurve. Das eigentliche Bildungswesen hingegen stürzte mit dem Lockdown ab wie ein Windows-PC im 20. Jahrhundert. Das Positive dabei vorneweg: Der Schul-Blackout war aus Sicht des Filius zunächst keine Katastrophe, sondern eher wie ein unbefristetes Hitzefrei. Coronaferien, juhu! Viel Unterricht fand dann trotz etwas Normalisierung bis zu den echten Ferien im Sommer auch nicht mehr statt. Das Leben war entschleunigt: Das frühe Aufstehen, das gehetzte Frühstück, die ganze Antreiberei, damit das verpeilte Kind in die Gänge und trotz des weiten Schulwegs und der BVG halbwegs pünktlich aufschlägt, habe auch ich nicht übermäßig vermisst.

Seit dem Herbst wehte ein anderer Wind: Per Gewaltmarsch sollte aufgeholt werden. Schließlich steht die Auslese fürs Gymnasium bevor. Das Hausaufgabenpensum wurde enorm: Lange Vorträge waren zu entwerfen, Bücher zu besprechen, Plakate zu gestalten. Die Sache wuchs sich immer mehr auch zu einer Elternbeschäftigungstherapie aus. Meine Nerven lagen bald blank. Zum Glück gibt es noch die andere Teilzeit-Alleinerziehende, mit mehr Geduld und Enthusiasmus für die großen Aufgaben gesegnet.

Immerhin habe ich mehr Glück als viele andere hierzulande. Meine Arbeit gibt es noch, und ich kann sie gut am eigenen Schreibtisch erledigen. Das Equipment, das der zeitgemäße Betrieb der Privatschule erfordert, ist vorhanden: Drucker, Scanner, ein zweiter PC. Und mein einziger Schüler tut wirklich sein Bestes. Doch mit den neuerlichen Schulschließungen ist der Spaß echt vorbei. Während das halbe Land in Zoom-Konferenzen hockt, schleppt sich die Bildung immer noch ins Neuland Internet. Echte Stoffvermittlung fällt weitgehend aus. Zwar weiß ich mittlerweile wieder etwas besser über die menschlichen Atemwege, die alten Römer und den Winterschlaf der Tiere Bescheid – doch der Job, den ich nie wollte, ist mit einer Hand nicht zu bewältigen. Und der richtige, der vorgeht, auch nicht. Also bleibt die Tür oft zu, bekocht den kleinen Coronastreber mittags die Mikrowelle.

Vom Bildungsfiasko bekommen alle was am Kopf. Unterricht per Glotze, war das nicht vielleicht doch toll? Vielleicht setze ich meinem Sohn als Nächstes den DDR-Fernsehkurs »English for you« vor, da lernt er auch gleich noch was über Marx und Engels. Das größte Übel aber sind die seiner Generation gekappten sozialen Kontakte. Willst du lieber wieder in die Schule? Ja. Warum? Weil es langweilig wird!

Weiterlesen: »Ich kann kein Mathe!« – Sechs nd-Redakteure und Redakteurinnen erzählen, wie ihnen und ihren Kindern das Homeschooling gelingt. nd.DieWoche, 23./24.01.2021