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Verrat oder Innovation?

Der eiserne Vorhang zwischen Microsoft und Apple wird durchlässiger. Am Mittwoch kündigte der Apple-Konzern an, seine neuen Computer mit der Software „Boot Camp“ auszuliefern, mit der sich das marktbeherrschende Betriebssystem Windows XP auch auf dessen Macintosh-Rechnern installieren läßt. Boot Camp ist ein Vorgriff auf „Leopard“, die neue Version von Mac OS X, dem Apple-eigenen Betriebssystem. Mitte des Jahres soll es präsentiert werden.

Mit dem strategischen Umstieg, weg von IBM, hin zu den Microsoft-kompatiblen Intel-Chips, hatte sich die Aufweichung der Systemkonfrontation zwischen den beiden Plattformen bereits angedeutet. Der führende US-amerikanische Prozessorhersteller lebt mit den Redmonder Fensterbauern von Bill Gates in langjähriger Symbiose. Beide Konzerne hatten ihre Karriere als Zulieferer von IBM begonnen, um ihn dann zu überflügeln. IBM (International Business Machines) ist eines der traditionsreichsten IT-Unternehmen. Die am meisten verbreiteten Standards und Schnittstellen von Computern stammen ursprünglich von IBM.

Apple Computer Inc., seit 1997 wieder von Mitbegründer Steve Jobs geführt, pflegte gegenüber dem alten Rivalen Microsoft lange das Bild zweier unversöhnlicher Welten. Apple gilt als die Edelmarke unter den PCs, mit einem fortgeschrittenen Design in Verbindung mit originärer, überlegener Technik – was allerdings seinen Preis hat.

Obwohl Apple in verschiedenen professionellen Bereichen, wie Grafik und Musik, die Nase vorn hat und ein Mac weiter zum unverzichtbaren Yuppie-Accessoire zählt, liefen die schnöden Massen doch schon früh zu den billigeren Angeboten von Microsoft über. Dessen Windows-Betriebssysteme, die mit einer modernen grafischen Benutzeroberfläche Apple-Entwicklungen inzwischen äußerlich auffallend ähneln, trugen „Freeze“ und „Crash“ – den Computerabsturz – in fast jedes Büro und jeden technisierten Haushalt. Einen Absturz erlebte dabei allerdings auch der Anteil von Apples Macintosh-Rechnern am weltweiten PC-Absatz, der bei etwa drei Prozent einfror.

Wenig soft waren Microsofts Strategien, die das Unternehmen zum größten Software-Anbieter und seinen Boß Bill Gates zum reichsten Mann der Welt machten. Immer wieder sind wettbewerbswidrige Praktiken, insbesondere die Bündelung verschiedener Produkte mit der Hausmarke, Gegenstand von Prozessen. Aus der Kritik an der Unterdrückung und Verschleppung von Innovationen durch den Quasimonopolisten entstand die Open-Source-Bewegung kooperativ arbeitender Entwickler.

Apples aktuelles Betriebssystem Mac OS X basiert auf der friedlichen Koexistenz eines Open Source Unix mit kommerzieller Software.

Nun lädt Apple zum Wettstreit der Betriebssysteme auf seine neuen, superschnellen Intel-Macs ein. Philip Schiller, Vice President Worldwide Product Marketing von Apple, beschwichtigt Kritiker: „Apple hat weder den Wunsch noch die Absicht, Windows zu verkaufen oder zu unterstützen.“ Boot Camp solle es für Windows-Anwender „noch verlockender“ machen, auf den Mac zu wechseln. Die beiden Systeme steigen dabei getrennt in die Mac-Kiste. Ein wechselseitiger Datenzugriff zwischen den Partitionen wird nicht möglich sein.

Eine gut aufeinander abgestimmte Einheit von Geräten und Programmen hat das Image der Qualitätsmarke Apple wesentlich geprägt. Mac und Apple-Software werden nun nicht mehr zwingend zusammengehören. Doch auch das Gates-Imperium hat qualitativ aufgeholt: Während frühere Windows-Versionen nicht mit jeder Hardware fertig wurden, hat Microsoft mit XP auch in puncto Betriebssicherheit deutlich hinzugewonnen. Apple-Nutzern erschließen sich künftig – über Windows – weit mehr Anwendungen als bisher. Viele Kunden hätten ihr Interesse bekundet, Windows auf der überlegenen Hardware von Apple laufen zu lassen, so die Referenz für das Produkt des Rivalen.

Analysten werten den jüngsten Schachzug von Apple als erfolgversprechenden Versuch, auf dem von Microsoft dominierten PC-Markt an Boden zu gewinnen. Jeder Prozentpunkt bedeutet hier Milliarden an Umsatzzuwächsen. Die Börsen reagierten entsprechend euphorisch auf Apples knapp gehaltene Ankündigung.

Zielgruppe des Apple-Coups sind in erster Linie die Windows-sozialisierten Privatanwender. Fraglich ist jedoch, ob eine Bigamie mit diesen beiden Betriebssystemen für einen großen Kundenkreis auf Dauer attraktiv sein kann. Damit wäre die Zukunft von Apples eigenem Betriebssystem Mac OS in Frage gestellt. Dann gäbe es immerhin noch schöne Windows-Rechner aus dem Hause Apple und eine Wiedervereinigung alter Software-Pioniere.

Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2006/04-10/046.php

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