
Nur wenige Schritte entfernt vom Berliner Schloss befand sich seit November 1926 das Ukrainische Wissenschaftliche Institut in Berlin (UWI). Die vom Auswärtigen Amt gesponserte Einrichtung in der Breiten Straße 36 sollte deutschen Interessen in Osteuropa dienlich sein und dem Hetman Pawlo Skoropadskyj eine Plattform zur Betätigung im Exil verschaffen. Offizieller Träger war ein privater „Verein zur Förderung der ukrainischen Wissenschaften und Kultur e.V.“. Erster Direktor wurde der Historiker und ukrainische Ex-Außenminister Dmytro Doroschenko.
Der frühere zaristische General Skoropadskyj als die zentrale Figur des UWI hatte von April bis Dezember 1918 an der Spitze des von der Großgrundbesitzer-Oligarchie ausgerufenen Ukrainischen Staates gestanden. Dabei war der Diktator nicht viel mehr als eine Marionette des Deutschen Kaiserreichs.
Während seines „Hetmanats“ nach dem Einmarsch der Mittelmächte im Februar 1918 pausierte die nach der Oktoberrevolution gegründete und mit Polen verbündete bürgerliche Ukrainische Volksrepublik (UNR), bis ein Aufstand die Regierung Skoropadskyj stürzte. Eine bolschewistische Gegenregierung in Charkow proklamierte im Januar 1919 die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik, die nach dem Einmarsch der Roten Armee bis Februar 1920 die UNR beerdigte. Nach dem Frieden von Riga 1921 ging die Westukraine an Polen, wo eine weitere Republik eine Parallelexistenz geführt hatte.
Damit sind wir noch nicht am Ende der Geschichte: 1921 trat eine sogenannte „Regierung der Ukrainischen Volksrepublik im Exil“ ihren Weg durch die Welt an: Zunächst saß sie abwechselnd in Polen und Frankreich, dann im besetzten Frankreich, zum Kriegsende in Weimar. Es folgten Bad Kissingen und bis 1976 München in der Bundesrepublik. Bis zur Selbstauflösung nach der Gründung des heutigen Staates 1992 wurde in Philadelphia (USA) munter weiterregiert.
Zurück in die Breite Straße 36, Aufgang 5: Bei der Gründung des Ukrainischen Wissenschaftlichen Instituts hatte der Militär und Politiker Wilhelm Groener Pate gestanden. Bekannt ist der Name des letzten Oberbefehlshabers des deutschen Heeres während des Ersten Weltkrieges insbesondere durch seinen Pakt mit dem SPD-Chef Friedrich Ebert zur blutigen Niederschlagung linker Kräfte, die die Novemberrevolution von 1918 fortsetzen wollten.
Die Unterstützung deutscher Stellen für das UWI war nicht uneingeschränkt. Von den wissenschaftlichen Institutionen in Berlin blieb es weitgehend abgekoppelt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion ging nach dem Vertrag von Rapollo mit Sowjetrussland 1922 vor.
Neben Beiträgen zur Ukranistik war das Institut vor allem mit den Fraktionskämpfen innerhalb der Diaspora beschäftigt und dabei deutsch-freundlicher Gegner ihrer sozial-revolutionär gesinnten Teile. Es verwaltete ein Studentenwohnheim und vermittelte Stipendien an ukrainische Studenten, die sich dann aber vor allem als Aktivisten des Hetmans entpuppten. Die umfangreiche Bibliothek des UWI umfasste mehr als 20.000 Bände.
Der von der Soros-Stiftung gegründete und mit Bundesmitteln geförderte Think Tank Zentrum Liberale Moderne beschreibt die Einrichtung in seinem Themenportal „Ukraine verstehen“ wie folgt: „Das Ukrainische Wissenschaftliche Institut (1926–1945), gegründet auf Initiative von Pawlo Skoropadskyj, verbreitete Informationen über die Ukraine und ihre Kultur unter den deutschen Wissenschaftler:innen. Außerdem unterstützte das Institut ukrainische Student:innen und Wissenschaftler:innen in Deutschland. Das Institut hat ein beträchtliches wissenschaftliches Erbe hinterlassen.“
Hinter Diversität und dem „beträchtlichen Erbe“ verschwindet hier die Kollaboration des UWI während des Dritten Reichs. Die „taz“ kommt der Sache schon näher: „Während des Kriegs“, wird hier der Abstieg des Instituts bedauert, „bestand seine Arbeit dann auch nur noch aus Dienstleitungen für die Politik, vor allem für das Außenpolitische Amt des Deutschen Reiches und für die Wehrmacht.“
Genauer gesagt handelte es sich bei diesem Amt um das Außenpolitische Amt der NSDAP, dessen Leiter, der 1946 in Nürnberg hingerichtete Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg, schon länger Kontakte zum UWI hatte und 1933 seine schützende Hand über die Skoropadskyj-Partei dort hielt. Das Institut hatte unter seinem Direktor Ivan Mirtschuk seit 1931 auch Mittel vom Preußischen Kultusministerium erhalten.
Die Spurenlage zum UWI im Internet ist dünn. Interessante Aufschlüsse gibt die gründliche Abhandlung „Das Ukrainische Wissenschaftliche Institut in Berlin. Zwischen Politik und Wissenschaft“ von Carsten Kumke, Wildenbruch/Berlin, die bereits 1995 in den „Jahrbüchern für Geschichte Osteuropas“ erschienen ist.
Dank der guten Verbindungen konnte demnach eine Übernahme des UWI durch Anhänger der 1929 gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) verhindert werden, die auch im Berliner Exil den Ton angeben wollten. Rückhalt und Förderung erhielt diese Organisation, deren Angehörige später Waffenbrüder von Wehrmacht und SS werden sollten, vom Reichsinnen- und Reichswehrministerium. Bereits im Juli 1933 sprach dessen Abwehr von der möglichen „wertvollen Unterstützung durch dieses Freikorps für den Kriegsfall gegen Polen“.
Auch in deutscher Sprache erstellt wurden in der Breiten Straße die Reihen „Abhandlungen“ und „Mitteilungen des Ukrainischen Wissenschaftlichen Institutes in Berlin“ sowie „Ukrainische Kulturberichte“, die von 1933-40 unregelmäßig erschienen.
Deren achtseitige Ausgabe vom 30. Juli 1937 widmet sich unter anderem der Ukraineforschung in Frankreich, der Körperkultur in der Sowjetukraine „im Rahmen des von Moskau aus bestimmten Planes“, ukrainischen Geschichtsdenkmälern in Wien und schließlich „Verfassung und Wirklichkeit der Sowjetukraine“.
Als blutiger Vollstrecker der „roten Moskauer Diktatur“ wird in dem Artikel der „gegenwärtige diktatorische Sonderbevollmächtigte Stalins in der Sowjetukraine, der Jude Mendel M. Chatajewitsch“ vorgestellt. Am 30. Oktober 1937 wurde Mendel Markowitsch Chatajewitsch, Bolschewik seit 1912, wegen angeblicher Beteiligung an einer konterrevolutionären Terrororganisation im Zuge der Stalinschen Säuberungen in Moskau erschossen. Die Akten seines Prozesses sind bis heute geheim.
Die weiteren Publikationen des Instituts waren Auftragsarbeiten im Dienste der Kriegsvorbereitung und -führung. Hierzu zählen das „Deutsche und ukrainische Fliegerwörterbuch“ 1938, ein Jahr darauf ein entsprechendes „Militärwörterbuch“, ein „Handbuch der Ukraine“ (1941), ethnografische Karten, die Mitarbeit an einer für den Dienstgebrauch bestimmten und kurz vor dem Überfall auf die UdSSR erschienenen Broschüre des Generalstabs des Heeres „Militärgeographische Angaben über das europäische Rußland. Ukraine. Ortschaftsverzeichnis“ – mit Angaben zur jeweiligen Zahl der jüdischen Einwohner.
„Das Institut stellte seine Tätigkeit im Frühjahr 1945 ein“, heißt es knapp am Ende eines Eintrags zum UWI in der „Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Dessen Initiator Skoropadskyj kam im April 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee bei einem alliierten Bombenangriff in Niederbayern zu Tode.