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Unruhiges Wahljahr in Portugal

Die Europawahl am 26. Mai wird für Portugals sozialistische Regierung zu einem wichtigen Prüfstein. Im Herbst geht es dann richtig zur Sache: Am 22. September sind die Bewohner der Autonomen Region Madeira aufgerufen, über die künftige Zusammensetzung der regionalen Parlaments zu entscheiden. Zwei Wochen später finden die Wahlen zur Versammlung der Republik statt.

Seit November 2015 steht António Costa der Regierung vor. Im Parlament werden seine Sozialisten (PS) vom Linksblock (Bloco de Esquerda, BE) sowie von den Fraktionen der Kommunistischen Partei (PCP) und der Grünen (PEV) – die in der Wahlkoalition CDU zusammengeschlossen sind – toleriert. Die Zusammenarbeit basiert auf Abkommen, die von der PS mit den einzelnen Partnern geschlossen wurden. Im Verlauf der Legislaturperiode haben die Spannungen zwischen der Regierungspartei und den sie stützenden linken Parteien zugenommen – sie sind darum bemüht, eigenes Profil zu zeigen. Die PS wiederum hält auch für die Konservativen von CDS und PP das Bett warm. Deren Politiker sind sich allerdings untereinander nicht grün. Die sozialistisch-kommunistische Kooperation stellt auf dieser Ebene ein bemerkenswertes Novum in der Geschichte des iberischen Landes dar. Das Verhältnis zwischen dem sozialistischen Premier und dem leutseligen konservativen Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa ist im wesentlichen harmonisch.

Die extreme Rechte ist im westlichsten Land Europas 45 Jahre nach der Nelkenrevolution, die die fast fünf Jahrzehnte währende klerikal-faschistische Diktatur beseitigte, ohne große Relevanz. Dennoch nimmt die Propaganda aus dieser Ecke vor allem in den „sozialen“ Medien deutlich zu. Seit 2017 registrieren die Behörden auch eine wachsende Zahl rassistischer Übergriffe. Die rechte Unterwelt ist auch hier eng mit dem kriminellen Milieu verwoben. Der altbackenen Heimat Ewiggestriger, der Nationalen Erneuerungspartei (Partido Nacional Renovador, PNR) werden auch bei den Wahlen in diesem Jahr keine großen Chancen eingeräumt. Sie greift nun Parolen auf, die dem Faschisten Jair Bolsonaro im großen Schwesterland Brasilien zum Erfolg verhalfen, wettert gegen einen „kulturellen Marxismus“, der angeblich am christlichen Abendland nagt, und gegen die „zersetzerische Gender-Ideologie“. Immerhin sind in den letzten Jahren Hunderttausende Brasilianer, nicht selten Angehörige für solche Parolen besonders anfälliger Mittelschichten, in Portugal eingewandert. Am rechten Rand fischt auch der Ex-PSD-Politiker und Trump Imitator André Ventura, der am Aufbau einer neuen Partei CHEGA (dt.: Es reicht) arbeitet.

Das Ansehen der etablierten Politik ist durchaus ramponiert. Die Folgen der tiefen Krise um 2011 sind längst nicht überwunden, viele Wunden, die den Bewohnern mit dem Sparkurs unter der Ägide der Troika geschlagen wurden, nicht verheilt. Hinzu kam eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen, die der Filz aus Politik und Wirtschaft produzierte. Das Desaster mit den Banken Espirito Santi und BPN kostete die Steuerzahler Unsummen.

Im Mittelpunkt des aktuellen politischen Geschehens stehen die sozialen Auseinandersetzungen. Zudem verschafft sich in Portugal die Frauenbewegung immer stärker Gehör, die konservative Muster in der noch immer männlich dominierten Gesellschaft in Frage stellt. Seit dem zweiten Halbjahr 2018 hat sich die Zahl der Arbeitskämpfe in Portugal enorm ausgeweitet. Verschiedene Berufsgruppen verschaffen so ihren Forderungen nach besserer Bezahlung und würdigen Arbeitsverhältnissen Geltung. Besonders hartnäckig kämpfen die Pflegekräfte und die OP-Schwestern an den öffentlichen Krankenhäusern. Die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens wollen sie ebensowenig länger hinnehmen wie die über die gesamte Karriere konstant schlechten Löhne. Neben den klassischen Gewerkschaften treten hier vor allem auch Berufsorganisationen als Interessenvertreter gegenüber der Regierung in Erscheinung.

Einen mehrwöchigen großen Streik erlebte bis Mitte Dezember der wichtige Hafen von Sétubal. Der Ausstand der Arbeiter behinderte massiv den Export von Fahrzeugen der VW-Tochter Autoeuropa. Mehr vom Kuchen forderten die Beschäftigten bei den U-Bahnen in Lissabon und Porto. Arbeitsniederlegungen gab es bei der Polizei, in den Justizbehörden und bei privaten Sicherheitsdiensten. Der spektakuläre europaweite Streik bei der Billig-Airline Ryanair wurde von Piloten und Flugbegleitern in Portugal befolgt.

Die Regierung zeigte sich für die Fülle an sozialen Forderungen nur wenig aufgeschlossen. Dabei ist die Lage der Wirtschaft längst nicht mehr so bedrückend wie bei Antritt des Kabinetts Costa. Von den Akteuren an den internationalen Finanzmärkten unter Druck gesetzt, war das Land einem Staatsbankrott nur knapp entgangen. Den „Rettungsschirm“ konnte es längst verlassen. An die Stelle der Austerität, die seine konservativen Vorgänger praktizierten, setzte die Regierung der Sozialisten eine Politik, welche die Binnenkaufkraft schrittweise wieder erhöhte. Unsoziale Kürzungen wurden rückgängig gemacht, Mindestlöhne und Renten angehoben.

Zugute kamen den Regierenden günstige äußere Rahmenbedingungen wie der Tourismusboom, die relative Schwäche des Euro und ein niedriger Ölpreis. Für das vergangene Jahr weisen die Statistiken eine Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen um 2,3 Prozent aus, die Arbeitslosenrate ist im Jahresdurchschnitt auf unter sieben Prozent gefallen. Allerdings ist der Anteil von Langzeitarbeitslosen hoch, und nur jeder dritte Erwerbslose bekommt überhaupt Geld vom Staat. Und viele Jobs sind informell oder befristet und schlecht bezahlt. Den zu Beginn dieses Jahres auf 600 Euro angehobenen gesetzlichen Mindestlohn erhält etwa eine dreiviertel Million Portugiesen. Sowohl der größte, den Kommunisten nahe stehende Gewerkschaftsbund CGTP als auch die den Sozialisten zuneigende UGT kritisieren die Höhe des Mindestlohns als nicht existenzsichernd. Bereits 400.000 Portugiesen sind über Zeitarbeitsfirmen in Arbeit, auch hier sind die Konditionen häufig prekär.

Für 2019 hatten die Gewerkschaften angekündigt, ihre Kämpfe weiter zu intensivieren. Mit einem eintägigen faktischen Generalstreik des öffentlichen Dienstes im ganzen Land legten sie Mitte Februar bereits ordentlich los. Bereits seit einem Jahrzehnt hat es für die im Staatsdienst Beschäftigten keine allgemeine Steigerung der Bezüge mehr gegeben. Die CGTP bekämpft auch eine Novelle des Arbeitsrechts, die zu einer weiteren Ausweitung befristeter Arbeit führen könnte und im Laufe des Frühjahrs vom Parlament verabschiedet werden soll.

Kräftig zu Wort melden sich auch die feministischen Organisationen. Am internationalen Frauentag galt ihr öffentlicher Protest besonders dem skandalösen Umgang des Richters Neto de Moura aus Porto, der in Fällen häuslicher Gewalt die Schuld dem weiblichen Opfer zuschrieb und prügelnde Männer regelmäßig mit reaktionären Begründungen in Schutz nahm. „Wir wollen keine Richter aus dem 19. Jahrhundert“, hieß es auf zahlreichen Veranstaltungen. Am 28. März erlebte Lissabon eine große „Demonstration der arbeitenden Jugend“. Mehr als jeder zweite Beschäftigte bis 25 Jahre hat nur einen befristeten Job. Weitere Aktionen der Gewerkschaften, linker Parteien und Gruppen sind für den Jahrestag der Nelkenrevolution am 25. April und zum Ersten Mai geplant. Die durchaus populäre Regierung Costa sieht sich einem wachsenden Druck von links ausgesetzt.

Von Peter Steiniger, erschienen in: Rotfuchs, Ausgabe 255, April 2019, S.21

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