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Unheil mit Ankündigung

Jahresrückblick 2018: Brasilien. Demokratie ausmanövriert, Faschist kommt an die Macht

Auf die kleine Revolution, welche die dreizehn Jahre darstellten, die Brasilien von der Arbeiterpartei PT regiert wurde, ist eine ganze Konterrevolution gefolgt. Bei den Präsidentschaftswahlen am 7. und 28. Oktober trat der „Worst Case“ ein: Mit Jair „Messias“ Bolsonaro wurde ein erklärter Feind der Demokratie und Anhänger der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 zum neuen Staatschef Brasiliens bestimmt. Der 42. Präsident des größten südamerikanischen Landes tritt am Neujahrstag das Amt an. Am Ende des Superwahljahres – neben dem Präsidenten wurde an den elektronischen Urnen auch über den Kongress, die Gouverneure und die Parlamente der Bundesstaaten neu entschieden, zeichnet sich der Weg in den autoritären Staat deutlich ab.

Der langjährige Kongressabgeordnete rechter Splitterparteien und frühere Hauptmann wird Nachfolger von Michel Temer von der rechtskonservativen MDB. Dieser war erst 2016 an die Spitze des Landes gerückt, nachdem die zwei Jahre zuvor gewählte Präsidentin, Dilma Rousseff von der PT, durch ein Komplott von Justiz, Medienkonzernen und Opposition per Amtsenthebungsverfahren vom Kongress abgesetzt worden war. Stimmen von Abgeordneten wurden dafür gekauft. Der Sturz von Rousseff war ein Schlüsselmoment des von den Geldeliten und US-Stellen beförderten Rollbacks in Lateinamerika. Die Kampagne zur Dämonisierung der Arbeiterpartei unter Mithilfe von Teilen des Justizapparates spaltete die Gesellschaft und mobilisierte die weiße Mittelklasse zur sozialen Revanche. Die 2013 mit einsetzender Krise mit Hilfe der Globo-Medien inszenierten Massenproteste nach dem Muster farbiger Revolutionen waren eine Demonstration der Möglichkeiten für Massenmanipulation. Doch der Umschlag in eine neue Qualität erfolgte da noch nicht.

Aufwertung des Militärs

Unter Temer vollzog sich ein grundsätzlicher politischer Kurswechsel. Soziale Programme wurden zurückgefahren, Arbeitsrechte abgebaut, die Privatisierung vorangetrieben. US-Konzerne erhielten Zugriff auf Brasiliens gewaltige Pre-Sal-Ölvorkommen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung blieb aus, den gab es nur bei prekärer Beschäftigung. Gleichzeitig wurde die Repression gegen die sozialen Bewegungen weiter verschärft. Vom Vertrauensverlust in die Institutionen profitierten vor allem die Streitkräfte. Anfang 2018 stellte die Regierung die Metropole Rio de Janeiro unter Militäraufsicht, Soldaten sollen dort der Kriminalität Herr werden. Im Mai paralysierte ein spontaner Streik der Fernfahrer wegen hoher Dieselpreise große Teile des Landes, abgewürgt werden konnte er nur mit Zugeständnissen, der Einschaltung der Gerichte und dem Einsatz des Militärs.

Temer, wie etliche seiner Minister tief in Korruptionsskandale verwickelt, ist in der Bevölkerung vollkommen diskreditiert, selbst Bundesgenossen suchten mehr und mehr Distanz zum unpopulären Staatschef. Auch international genoss die Regierung des De-facto-Präsidenten wenig Prestige. Die Politik regionaler Integration lag auf Eis, gegenüber Venezuela unter dem Linksnationalisten Nicolás Maduro wurde auf Konfrontation geschaltet, Brasiliens Wende verringerte das Gewicht des BRICS-Bündnisses großer Schwellenländer als globalen Akteurs.

Als Verkörperung des traditionellen Filzes aus Wirtschaft und Politik wurde Temer zu Bolsonaros Wegbereiter. Seine mit ihm assoziierten gediegenen Vertreter der Kapitalfraktion, São Paulos Exgouverneur Geraldo Alckmin (PSDB) und Henrique Meirelles von Temers MDB, ließen sich nicht zu Hoffnungsträgern aufbauen. Ein solcher blieb für viele hingegen der Präsident der Jahre 2003 bis 2010 Lula da Silva von der Arbeiterpartei. Bis zum Ausschluss ihres Kandidaten durch das Oberste Wahlgericht Ende August lag Lula nach allen Umfragen stets unangefochten in Führung. Millionen Brasilianer verbinden mit seinem Namen eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs, die mit einer Politik für die kleinen Leute, für abgehängte Regionen, breitere Bildungschancen und zur Überwindung des institutionellen Rassismus einherging.

Seit dem 7. April sitzt der große Mann der brasilianischen Linken als politischer Gefangener im Gefängnis von Curitiba in Einzelhaft. Am Tag vor der Entscheidung über die Haft hatte Heereschef Eduardo Villas Boas per Twitter Druck auf das Oberste Gericht ausgeübt. In zweiter Instanz war Lula in einem im Eilverfahren vorangetriebenen kafkaesken Prozess ohne Beweise zu mehr als 12 Jahren wegen Geldwäsche und Korruption verurteilt worden. Richter Sérgio Moro, der Lula ins Gefängnis brachte und so den Favoriten der Wahl ausschaltete, wird nun Justizminister in der Regierung Bolsonaro.

Verkannte Gefahr

Zu Beginn des Jahres war Bolsonaro nur als Außenseiter ins Rennen um die Präsidentschaft eingestiegen. In den Umfragen führte er mit großem Abstand auf Lula das Verfolgerfeld an. Vorne lag er allerdings schon länger in der Präferenz der „oberen Zehntausend“. Schlagzeilen hatte der Hinterbänkler immer wieder mit rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Aussagen gemacht, mit seiner Verehrung für die Folterer der Diktatur und Todesdrohungen gegen politische Gegner. Ein Stil, den er während des Wahlkampfes beibehielt. Dass der Psychopath frei herumlaufen und politische Ämter bekleiden durfte, sagt einiges über Brasiliens Umgang mit seiner Geschichte. Doch nach der Ausschaltung von Lula auch gegen internationales Recht – an seiner Stelle trat nun der PT-Politiker Fernando Haddad mit der Kommunistin Manuela d’Ávila als Vizekandidatin an – rückte Bolsonaro auf den ersten Platz in der Wählergunst vor. Dass der Faschist in einer wahrscheinlichen Stichwahl gewinnen würde, glaubte noch im August kaum jemand. Zudem standen Bolsonaro und seiner Koalition „Brasilien über alles, Gott über allen“ nur wenig Sendezeit für Wahlspots in Radio und TV zu.

Doch ein spektakulärer Vorfall während eines Wahlkampfauftrittes am 6. September in Juiz da Fora veränderte das Szenario. Ein geistig Verwirrter attackierte den ultrarechten Kandidaten mit einem Messer. Das brachte Bolsonaro enorme Publicity. Der Mann, der wenige Tage zuvor noch gedroht hatte, „die PT-Bande erschießen“ zu wollen, konnte nun in der Opferrolle auftreten. Einflussreiche evangelikale Prediger besuchten den Politiker am Krankenbett, priesen diesen als von Gott gesandt. In den sozialen Netzwerken wurden Fake News verbreitet, die den Attentäter mit der Linken in Verbindung brachten. Auf den Straßen attackierten fanatisierte Bolsonaro-Anhänger Andersdenkende, sie beginnen im Wahlkampf mindestens drei politische Morde.

Für die PT-geführte Koalition wurde es noch schwieriger. Dennoch gelang der „Stimmentransfer“ von Lula zu Haddad weitgehend. In den Tagen vor der Wahl schnellten die Werte für Bolsonaro jedoch sensationell nach oben. Mit 46 Prozent zog er bereits als klarer Favorit in die Stichwahl ein. In dieser erlitt das demokratische Lager drei Wochen später eine Niederlage. Dazu trug die wahnhafte antikommunistischen Paranoia bei, die gegen die PT seit Jahren geschürt wurde und an die Bolsonaros Kampagne anknüpfen konnte. Mit Hilfe Tausender gefälschter Accounts wurden dabei auf Whats-App Erfindungen zur Verleumdung des linken Kandidaten verbreitet, die Angst und Hass schürten. Dutzende große Unternehmen sponserten illegal die Attacke im Informationskrieg. Kalkuliert wurde dabei mit der Ignoranz der Mittelschichten und dem verbreiteten politischen Analphabetismus. Einen Lichtblick bietet der Nordosten, wo die Linke ihre Hochburgen behaupten konnte. Die neue Regierung steht für Rückschritt auf allen Gebieten, und der Verfolgungsdruck auf linke Parteien und Bewegungen wird im neuen Jahr dramatisch zunehmen. „Brasilien, liebe es oder verlasse es“ – der Slogan der Diktatur feiert beim großen Fernsehkanal SBT bereits Wiederauferstehung.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 24.12.2018, Seite 7, Link

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