Mit einer „Kampfwoche“ heizte der größte Gewerkschafts-Dachverband Portugals (CGTP-Intersindical) der liberal-konservativen Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho vom 16. bis 20. Dezember zum Jahresende noch einmal ein. Die landesweiten Protestaktionen und Streiks, unter anderem im öffentlichen Dienst und im Verkehrswesen, richten sich gegen den härtesten Sparetat seit Jahrzehnten. Für 2014 sind Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben von fast vier Milliarden Euro vorgesehen, was 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des iberischen Landes gleich kommt.
In einem Abkommen mit der Troika, (EU, EZB, IWF), hat sich das finanziell angeschlagene Portugal strengen Sanierungsmaßnahmen unterworfen. Im Gegenzug für ein 78 Milliarden Euro schweres Hilfspaket wurden im Rahmen dieser Roßkur Löhne, Renten und Gehälter gekürzt, Steuern erhöht und Investitionen zurückgefahren. Öffentliche Unternehmen werden privatisiert, die Rechte der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt geschwächt. Die Teuerung und eine Rekordarbeitslosigkeit haben die Lebensbedingungen der Portugiesen dramatisch verschlechtert. Ab dem kommenden Juni soll das ärmste westeuropäische Land nach den Troika-Plänen finanziell wieder selbst überleben können.

Trotz Kälte und Regen folgten Donnerstag abend in der Hauptstadt Lissabon Tausende dem Aufruf von CGTP zu einer Mahnwache vor dem Palast von Belém, dem Amtssitz des konservativen Präsidenten Aníbal Cavaco Silva. Sie forderten, daß ihr Staatsoberhaupt ein politisches Veto gegen den von der Regierungsmehrheit in der Assembleia da República beschlossenen Haushalt einlegen solle. Arménio Carlos, Generalsekretär der CGTP, verlangte unter dem heftigen Applaus der Teilnehmer ein weiteres Mal die Entlassung der Regierung von Pedro Passos Coelho von der konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD) und ihres kleineren rechten Koalitionärs CDS-PP sowie vorgezogene Neuwahlen. Sie wäre isoliert und ohne Rückhalt in der Bevölkerung, ihre Politik ziele auf verschärfte Ausbeutung und Verarmung, untergrabe die nationale Souveränität und die Verfassung des Landes. „Es ist dringlich, mit der rechten Politik und dem Programm der Aggression zu brechen“, heißt es in der Resolution der Demonstranten.
Gute Noten für ihre Hausaufgaben erhielt das Kabinett von Passos Coelho hingegen von einer Kommission der Troika, die bis zum vergangenen Montag zur mittlerweile zehnten regulären Überprüfung der Reformfortschritte in der portugiesischen Hauptstadt weilte. Deren Experten machen Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung aus. Die portugiesische Regierung habe „bedeutende Fortschritte bei der Umsetzung schwieriger struktureller Reformen“ erzielt, erklärten sie im Bericht zum Abschluß ihres Besuchs in Lissabon. Die kommunistische Partei, PCP, von der die CGTP maßgeblich beeinflußt wird, sieht in dem Troika-Memorandum von 2011 und ihren Exekutoren an den Schaltstellen in Lissabon eine „konzertierte Aktion“ gegen den Sozialstaat und den öffentlichen Sektor.
Während vor dem Präsidentenpalast demonstriert wurde, tagte zur gleichen Zeit das nationale Verfassungsgericht und machte einen dicken Strich durch die Pläne der Minister und Sparkommissare. Einstimmig erklärte es ein Gesetz für verfassungswidrig, nachdem die Renten früherer Staatsangestellter über 600 Euro monatlich ab 2014 um 10 Prozent gesenkt werden sollten. 388 Millionen Euro sollten so im kommenden Jahr eingespart werden. Es verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, so die Richter in ihrer Begründung. Das Verfassungsgericht war von Staatspräsident Cavaco Silva präventiv um Prüfung ersucht worden, der damit eine Klage der Opposition vorwegnahm. Die Regierung hatte der Troika bereits vorab zugesagt, im Falle eines gerichtlichen Scheiterns ihrer Rentenpläne „ausgleichende Maßnahmen“ zu ergreifen, um das vorgesehene Ziel der Reduzierung des Haushaltsdefizit auf vier Prozent im kommenden Jahr dennoch einhalten zu können.
Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 21.12.2013, Nr. 296, S.3, Link
Düstere Aussichten: Portugals Misere
Portugal steuert auf ein weiteres Krisenjahr zu. Einem leichten Wachstum des industriellen Sektors im dritten Quartal 2013 stehen erneut Rückgänge im Bauwesen, im Dienstleistungssektor und bei den öffentlichen Aufträgen entgegen, ermittelte die staatliche Statistikbehörde INE. Die Schwäche des iberischen Landes bei den Ein- und Ausfuhren bremst weiter die Konjunktur. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts setzt sich, wenn auch verlangsamt, fort. Vielerorts illustrieren abgebrochene Straßenbaustellen, geschlossene Läden und zum Verkauf stehende Häuser die prekäre wirtschaftliche Lage. Die offizielle Arbeitslosenrate von derzeit 15,7 Prozent wird noch geschönt durch Hunderttausende Auswanderer. Ebenso wie durch jene, die die Suche nach einem Job unfreiwillig aufgaben und aus der Statistik ausscheiden. Etwa jeder dritte Portugiese lebt derzeit in Armut oder ist akut davon bedroht.
Wachstum herrscht im informellen Sektor und in der Schattenwirtschaft, deren Umfang nach Schätzungen von Ökonomen mehr als ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung Portugals ausmacht. Die Vermeidung von Steuern und Sozialabgaben ist vor allem im Handel und bei Dienstleistungen verbreitet, gefolgt von Industrie und Landwirtschaft. Der öffentlichen Hand entgehen nach den Berechnungen Milliardeneinnahmen.
Nach dem Veto der Verfassungsrichter gegen Sparpläne bei den Renten im Haushalt 2014 will die Regierung das Loch mit anderen Maßnahmen stopfen. Eine erneute Anhebung der Mehrwertsteuer (IVA) ist wahrscheinlich. Mit den seit 2011 geltenden Sätzen von 23 Prozent, ermäßigt 13 bzw. sechs Prozent, sind die Konsumenten bereits erheblich belastet. Bei einer nochmaligen Erhöhung werden negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung erwartet, die auch eine zeitnahe Rückkehr des Landes an die internationalen Kreditmärkte erschweren dürften.
Premier Passos Coelho möchte Licht am Ende des Tunnels sehen – 2014 werde die Wende bringen, „die Anstrengungen der Portugiesen krönen“, ließ er seine Landsleute wissen. (pst)
Erschienen in: junge Welt vom 21.12.2013, Nr. 296, S.3, Link