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U-Boote enttarnt

Es ist ein handfester Skandal, doch große Wellen schlägt er nicht. Zunächst ein Blick zurück: Seit Oktober 2014 hatten Schwedens Medien und von ihnen angeheuerte Experten die Öffentlichkeit monatelang mit Berichten zur Jagd auf vermeintlich russische U-Boote unter Spannung gehalten. Los ging es, just nachdem die neue Minderheitsregierung von So­zialdemokraten und Grünen ans Ruder gelangt war. Ausgelöst hatte den Wirbel ein vom Militär „durch sehr glaubwürdige Beobachtungen“ ausgemachtes unbekanntes Tauchobjekt im Gebiet der Stockholmer Schären. Krisenstäbe tagten, Hunderte Soldaten suchten mit Schiffen, Hubschraubern und Kampfjets nach dem Eindringling. Spekuliert wurde über ein havariertes russisches Kleinst-U-Boot und gestrandete Elitekämpfer der „Speznas“ (Einheit zur besonderen Verwendung). Das ganze Feindbildszenarium des kalten Krieges lebte auf. Die deutschen Leitmedien wollten da nicht nachstehen.

Obwohl die aufwendige Operation ergebnislos verlief, rechtfertigte sie der damalige Oberkommandierende der Streitkräfte, Sverker Göransons, bei einer Pressekonferenz am 14. November 2014 im Beisein von Premier Stefan Löfven mit Indizien: Vom Militär aufgefangene Signale hätten eindeutig bewiesen, dass ein U-Boot in die eigenen Hoheitsgewässer eingedrungen sei. Im Januar 2015 gab es erneut Alarm. Diesmal wurde bei einer Marineübung vor der Ostküste für ein Momentchen ein fremdes Periskop ausgemacht. Und wieder zeigten alle Finger auf den Iwan. Der dementierte jede Beteiligung. Wenige Monate später stimmte der Reichstag in Stockholm höheren Verteidigungsausgaben und der Anschaffung von zwei modernisierten A26-U-Booten der Gotland-Klasse zu, die bei SAAB Kockums gebaut werden.

UnbenanntNun müssen sich die Schweden an die eigene Nase fassen. In einem Interview für den staatlichen Kanal Sveriges Radio am 11. Juni gab Schwedens Verteidigungsminister Peter Hultqvist zu, der Öffentlichkeit monatelang Untersuchungsergebnisse vorenthalten zu haben. Bereits im September 2015 hatte die Schwedische Marine die Resultate ihrer elektronischen Aufklärung zu Makulatur erklärt, ohne Hintergründe zu nennen. Danach verordneten sich Militär und Regierung eine Schweigepflicht. Doch nun lichtete Hultqvist auf Nachfrage der Medien den Schleier: Die Signale, die zur Phantomjagd in den Schären führten, stammten demnach „nach tieferer Analyse“ aus einer schwedischen Quelle.

Beim winterlichen Besucher hingegen soll es sich nach unbelegten Angaben des Nachrichtenmagazins Ekot um ein deutsches Boot gehandelt haben. Deutsche Stellen dementierten mehrfach. Auf eine Anfrage des Filmemachers Dirk Pohlmann teilte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am vergangenen Dienstag mit, „dass sich im Januar 2015 kein U-Boot der Deutschen Marine in schwedischen Hoheitsgewässern befand“. Er hob die „langjährige Zusammenarbeit“ beider Flotten hervor. Zur Vermeidung von Zwischenfällen „insbesondere im Bereich der U-Boot-Führung“ sei diese „sehr eng“. Schwedens früherer Außenminister Carl Bildt zeigte sich irritiert. „Wahr oder Lügenmärchen?“, fragte er auf Twitter. Vielleicht war es ohnehin nur Treibholz.

Tatsache ist, dass Schwedens Militär wieder einmal seine eigene Politik verfolgt. Hultqvist laviert und schiebt diesem die Schuld am Vertuschen des glatten Fehlalarms vom Herbst 2014 zu. Die Sache sei dessen „Verantwortungsbereich“, und er müsse sich „an Geheimhaltungsregeln halten“. Hult­qvist ist schließlich nur Minister. Und kaum jemand macht ihn nass: Während sich die Medien bei der Jagd auf die vermeintlichen Russenboote überschlugen wie bei der ähnlich inszenierten antisowjetischen Hysterie der 1980er Jahre, sind sie nun ziemlich abgetaucht.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 27.06.2016, S.7, Link

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