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Spanien entzweit

Die Bestrebungen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die autonome Gemeinschaft aus dem spanischen Staat herauszulösen, finden nicht nur im Land selbst ein geteiltes Echo. Erblicken die einen darin vor allem den Egoismus einer wirtschaftlich starken Region, welche die Früchte des Erfolgs nicht länger teilen möchte, bekommen andere glänzende Augen angesichts der selbstbewußten Auflehnung der Massen gegen die Herren in Madrid. Eine bürgerlich-demokratische Volksbewegung ist in Aktion getreten, die neben der nach einer eigenen Republik, die ohne König auskommt, viele weitere fortschrittliche Forderungen vertritt.

An der in Katalonien regierenden Allianz Junts pel Sí (Zusammen für das Ja) ist auch die linksrepublikanische ERC beteiligt. Gestützt wird die Regionalregierung von dem antikapitalistisch orientierten Zusammenschluß CUP. Mit Stimmen auch aus ihren Reihen wurde im Januar 2016 der Liberale Carles Puigdemont zum Ministerpräsidenten gewählt.

Aktivisten auf der Straße, in den Schulen und Universitäten tragen die Estelada Vermella, die katalanische Fahne ohne blaues Dreieck, dafür aber mit einem roten Stern, und radikal linke Positionen in den Kampf um die eigene Souveränität hinein. Auch, wenn dieser Einfluß nicht überschätzt werden sollte: Zum Geschichtsbewußtsein der meisten Katalanen – die Rückbesinnung auf die eigene Kultur und Identität kam bereits im 19. Jahrhundert in Gang – gehört auch, daß hier im Bürgerkrieg (1936–1939) die Zweite Spanische Republik gegen die faschistischen Putschisten von General Francisco Franco bis zuletzt verteidigt wurde. Nach deren Niederlage verlor die Region ihren Autonomiestatus wieder und die Sieger nahmen blutige Rache an Tausenden Republikanern. Kataloniens Bürgertum liierte sich in der Folge kaum mit dem Franquismus, der auch die katalanische Sprache unterdrückte.

Ihren Aufschwung verdanken die Unabhängigkeitsbefürworter nicht allein historischen Gegensätzen oder dem starken Nationalgefühl der Katalanen und ganz sicher nicht einer überzeugenden Konzeption für den Tag danach. Vielmehr gewannen sie mit dem Einbruch von Spaniens Wirtschaft nach dem Crash an den internationalen Finanzmärkten 2007 und der darauf folgenden asozialen Sparpolitik an Stärke. Während das Land sich der Troika unterstellte und Milliarden in marode Banken pumpte, versank die in Madrid regierende Volkspartei (PP) im tiefer in Korruptionsskandalen, welche die Justiz bis heute beschäftigen. Die in Barcelona herrschende Kaste stand ihr übrigens in nichts nach. Die PDeCAT von Puigdemont wurde erst im Juli 2016 neu gegründet, um das schmutzige Etikett ihrer Vorgängerpartei CDC zu entsorgen. Lange hatten deren Politiker sich mit der Zentralregierung zu arrangieren gewußt, doch 2012 den Kurs auf Abspaltung umgestellt.

Der Wahlsieg von Junts pel Sí 2016 wirkte als Katalysator, war doch die Frage der Unabhängigkeit die die Kampagnen beherrschende Frage gewesen. Ihre Befürworter erreichten eine Mehrheit der Sitze im Regionalparlament, doch hatten sie keine absolute Mehrheit der Stimmen erhalten. Die Bevölkerung ist zwischen ja und nein tief gespalten, und unter den 7,5 Millionen Einwohnern der Gemeinschaft sind viele, die aus Erwerbsgründen aus anderen Teilen Spaniens zuwanderten und sich mit Katalonien weniger eifrig identifizieren. Daher war vor dem Referendum vom 1. Oktober, welches das spanische Verfassungsgericht auf Antrag der Regierung untersagte, längst nicht ausgemacht, welche Seite unter regulären Bedingungen den Sieg davontragen würde.

Die 90 Prozent Ja-Stimmen, auf deren Basis die Unabhängigkeit ausgerufen werden soll – ob sie verwirklicht wird, steht auf einem anderen Blatt –, haben vor allem symbolisch Gewicht. Mit dem gewaltsamen Vorgehen von Nationalpolizei und Guardia Civil gegen Abstimmungsteilnehmer mit Hunderten Verletzten wurde die Anti-Madrid-Stimmung im Nordosten jedoch angefacht. Die Reaktionen der Massen – Generalstreik und Großdemonstrationen – belegen das eindrucksvoll.

Die gewaltsame Repression paßt in die Linie von Ministerpräsident Mariano Rajoy und seiner konservativen Volkspartei. Die Erben der Franco-Nationalisten setzen auf Konfrontation und verweigern einen echten Dialog mit Barcelona. Mit Geldstrafen, Durchsuchungen und Verhaftungen hatte man bereits im Vorfeld die Schraube deutlich angezogen. Bereits 2010 sorgten sie dafür, daß den Katalanen durch ein Gerichtsurteil ein erweitertes Autonomiestatut wieder zusammengestrichen wurde – für diese ein Akt der Entfremdung.

Mit Zähnen und Klauen hält die traditionelle Rechte an einem zentralistischen Staatsverständnis fest, welches Spaniens multinationale Realität ignoriert. Die „Unteilbarkeit“, welche die Verfassung von 1978 – ein Produkt des Übergangs vom Franquismus zur parlamentarischen Monarchie ohne scharfen Bruch – festschreibt, rechtfertigt für sie jeden Zwang.

Während die Krise einen explosiven Punkt erreicht – Madrid denkt über eine Aussetzung der Autonomie, die Entmachtung von Parlament und Exekutive der Katalanen nach –, fordern die Partei Podemos und die Vereinigte Linke (hierzu zählt auch die KP Spaniens) Verhandlungen für eine politische Lösung. Sie setzen sich dafür ein, daß die Katalanen frei entscheiden können – und für ein Spanien, das den Respekt aller seiner Völker verdient.

Von Peter Steiniger, erschienen in: Rotfuchs, Ausgabe 238, November 2017, S. 9, Link (PDF)