Zum Inhalt springen

Sonne und mehr

Tote Hose. An Melides ist absolut nichts Aufregendes. Ein paar verträumte Gassen mit weiß und saphirblau getünchten zweistöckigen Häusern und niedrigen Katen liegen da, umgeben von hügeliger Landschaft, Pinienhainen und Weinparzellen. Vor der Dorfkirche im Kolonialstil, der Igreja de São Pedro, dösen ein paar alte Leute auf den Bänken. An der kleinen Praça, gegenüber dem Gotteshaus, fristen ein paar unscheinbare Läden ihr Dasein.

Am Zugang zum Platz befindet sich ein gepflastertes Rondell, von Bäumen umstanden, auf dem sich bis zu mannshohe Skulpturen aus dem cremefarbenen Marmor von Vila Viçosa auftürmen. Sie stellen Bücherstapel dar. Auf den vielen Buchrücken stehen Titel und Autorennamen der portugiesischen und der Weltliteratur. Ein paar metallene Hocker in rostroter Farbe, traditionellen Sitzmöbeln aus Holz nachempfunden, laden zum Verweilen ein. „Kultur, die auf die Straße hinaustritt“, zeigt das Ensemble des Bildhauers Isaac Filipe da Silva Pinheiro, eingeweiht am 25. April 2000. An einem Jahrestag der Nelkenrevolution von 1974 also, welche die jahrzehntelange Diktatur von Salazar und Caetano stürzte.

Man steht hier auf rotem Boden. Als „Boden der Freiheit“ huldigt ihm der Liedermacher José „Zeca“ Afonso in seiner Hymne auf das nahegelegene Städtchen Grandola. Im Radio übertragen, diente das Lied als Signal zum Aufstand der „Bewegung der Streitkräfte“ (MFA) am 25. April 1974. „Grandola Vila Morena“, das Lied der Revolution, in dem es heißt: „Das Volk ist es, das bestimmt!“, ist heute in Portugal wieder viel zu hören. Es erklingt bei den Protesten gegen Teuerung und Troika. Hier, im einst rückständigen Alentejo, wo die Kommunisten in der Landarbeiterschaft der Latifundien früh Einfluß gewannen, wurde der Kampf um die Bodenreform besonders radikal geführt. Aber auch der Zugang aller zu Bildung und Kultur stand auf der Agenda. Die gewundene Straße hinter der Petrus-Kirche trägt den Namen des Kommandeurs Ramiro Correia, einem MFA-Marineoffizier, der führend an den „Kampagnen zur kulturellen Dynamisierung und Aufklärung der Bürger“ während des revolutionären Prozesses 1974/75 mitwirkte.

Ein kurzer Spaziergang, ein Cafesinho – ein Tässchen Espresso – dann zieht es Städter, die Hektik und Lärm entflohen sind, auch schon weiter. Das hübsch-verschnarchte Dorf ist nur Durchgangsstation zu den breiten, weißen Sandstränden an der nahe gelegenen alentejanischen Küste. Die etwa fünf Kilometer bis zu Lagune und Strand von Melides lassen sich mit wenig Gepäck auch gut wandern. Nur zwei- bis dreimal am Tag kommt ein Bus der „Rodoviária do Alentejo“ durch. Von Grandola bis zu den Dünen von Melides benötigt er fünfzig Minuten auf einer teils durch einen märchenhaften Wald führenden, teils kurvenreichen Strecke. Wer ein (Leih-)Auto hat, ist hier in der Provinz klar im Vorteil. Nach Grandola gelangt man von Lissabon in nur einer guten Stunde mit dem Zug oder auf der Autobahn A2 in Richtung Süden.

Der Strand von Melides ist nicht zuletzt bei Einheimischen beliebt. Den Urlaub im „Lagoa de Melides Camping Park“ kann man sich vielleicht gerade noch leisten. Außerhalb der Saison geht es entspannt zu. Von hochsommerlichen Massenbelustigungen zeugen dann nur noch die Transparente, welche zu musikalisch zweifelhaften Events oder einer „Festa da Espuma“ einladen, dem körperbetonten Bad in der eingeseiften Menge. Fast jede Familie hier im Küstendorf bietet gepflegte, bezahlbare Zimmer oder Urlaubswohnungen an. Ein Minimercado und eine Cafeteria mit dem abgeblätterten Charme der 70er versorgen mit dem Nötigsten, der Kiosk hält eine bescheidene Auswahl an Gazetten bereit. Der Urlaub regiert, und was da draußen in der Welt gerade passiert – wer will das wissen? Am langgezogenen Strand muß sich niemand drängeln, nachts wird er von Anglern okkupiert, deren Ruten alle fünfzig Schritt in den dunklen Himmel ragen.

Verschwunden sind jetzt die eher barackenartigen Strandrestaurants. Weg ist auch der alte Herr, der immer auf einem alten Rost den Fisch grillte, dabei gern von seinen Kriegserlebnissen in Afrika berichtete und dessen Töchter mit mehr Laune als Lust die Gäste bedienten. Nun gibt es schicke zweistöckige Bauten, davor Terrassen mit weißgedeckten Tischen, Duschen und Holzroste zum Laufen über den heißen Sand.

So, wie hier im Alentejo, wird trotz Krise weiter in touristische Infrastruktur und auch den Küstenschutz investiert. Portugal setzt stark auf den Exportschlager Sonne und Meer. Acht Programme hat das Ministerium für Wirtschaft und Beschäftigung im Rahmen einer „Nationalen Strategie für den Tourismus bis 2015“ initiiert. Mit Strand, Golf und Kulturerbe soll stärker gepunktet werden. Planungen von 2007 sind bereits Makulatur, die Einnahmen der Branche blieben um ein Fünftel unter den Erwartungen, 2009 wurde gar zu ihrem „schwarzen Jahr“. Besonders zu schaffen macht die Konkurrenz aus der Türkei, Marokko und Kroatien. Die der spanischen Nachbarn sowieso. Die Wachstumsziele sind weiter hoch gesteckt, der Tourismus soll als „Motor der sozialen, ökonomischen und ökologischen Entwicklung“ wirken. Da die Portugiesen selbst leere Taschen haben, setzt man vor allem auf das Ausland, insbesondere auf Deutsche, Briten, Russen und Skandinavier. Immerhin: In puncto Zufriedenheit bekommt Portugal von seinen Gästen Spitzenbewertungen. Das können selbst Ratingagenturen nicht herabstufen.

Von Peter Steiniger. Quelle: „Alternatives Reisen“, Spezial der Tageszeitung junge Welt, 06.03.2013, Nr. 55, S.8 Link

Peter Steiniger lebt in Berlin, schreibt über Politik, Kultur, Länder und Leute und betreut die Onlineausgabe von junge Welt.
… hat ein Faible für Schwarzweißpostkarten und den Oderdeich.
… träumt von einer Wanderung auf der Via Lusitana durch Nordostportugal.
Sein Tip: Der Jüdische Friedhof Berlin-Weißensee erzählt Geschichte, von Schicksalen und birgt  Geheimnisse.

Portugal auf der ITB, Berlin, 6. bis 10. März:
Der Zusammenschluß „World Adventure“ fördert nachhaltigen Aktivtourismus im ländlichen portugiesischen Raum: Wandertouren entlang der alentejanischen Küste, Kanufahrten auf Flüssen, Mountainbike-Expeditionen und Tauchausflüge.
Nachfragen kann man in Halle 2.2, Stand 204
www.puracomm.eu

Touristische Informationen gibt’s beim Fremdenverkehrsamt Turismo de Portugal
www.turismodeportugal.pt
und in deutscher Sprache unter
www.visitportugal.com

Kommentar verfassen