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Showdown in Brasília

Es ist ganz großes Gerichtstheater, mit allem Drum und Dran. Ankläger und Verteidiger treten auf, Zeugen beider Seiten werden gehört. Seit Donnerstag findet im brasilianischen Oberhaus der abschließende Prozess im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) statt.

Den Vorsitz über die mehrtägigen Verhandlungen hat der ehrenwerte Präsident des Obersten Gerichtshofes, Ricardo Lewandowski. Das Urteil fällen die 81 Mitglieder des Senats. Für einen Schuldspruch müssen zwei Drittel von ihnen, das sind mindestens 54, den Daumen über der Staatschefin senken.

Selbst im wundergläubigen Brasilien zweifelt kaum jemand daran, dass dies so kommt. Zu klar sind die Mehrheitsverhältnisse in der Kammer. Und Rousseffs Gegner dürften auch im Zweifel gegen die Angeklagte stimmen. Um die ihr vorgeworfenen angeblichen Bilanztricks im Staatshaushalt geht es nur formal. Dass die Beweise für einen schweren Amtsmissbrauchs, was nach der Verfassung ein solches Impeachment ermöglicht, auf ganz schwachen Füßen stehen, dürfte trotz aller juristischen Geplänkel die Entscheidung der Kammer kaum leiten. Rousseffs Amtsenthebung soll einen politischen Umsturz lediglich juristisch zementieren. Der Prozess ist der letzte Akt in einem gesellschaftlichen Drama, welches das Ende einer fast 14 Jahre währenden Ära PT-geführter Zentralregierungen in Brasília markiert.

Während der ersten Prozesstage werden die von beiden Seiten nominierten Zeugen befragt. Während die Verteidigung hierfür sechs Rechts- und Finanzexperten nominiert hat, begnügt sich die Anklage mit zwei Bürgen ihrer Sicht der Dinge. Man möchte beim Vorspiel Zeit sparen und möglichst schnell zur Sache an sich kommen. Das Lager der Präsidentin nutzt die Gelegenheit, um der Öffentlichkeit deren Unschuld zu demonstrieren sowie die politische Bühne, um den parlamentarischen Putsch, der hier vonstatten geht, anzuprangern. Gleich zu Beginn sprach Senatorin Gleisi Hoffmann (PT) dem Gremium auch jede moralische Autorität ab, über Rousseff zu urteilen. Der Prozess sei „eine Schande“. Etliche Senatoren sind in Korruptionsskandale verwickelt. Am Montag morgen wird die Präsidentin selber im Oberhaus erscheinen, um sich persönlich – und ihren Platz in der Geschichte – zu verteidigen.

Die Absetzung Rousseffs würde die Revanche der rechten Eliten für die im Oktober 2014 verlorene Präsidentschaftswahl vollenden. Nach einem mit großer Schärfe geführten Wahlkampf hatte die Politikerin mit mehr als 54 Millionen Stimmen den konservativen Kandidaten Aécio Neves von der PSDB im Stechen besiegt. Sie konnte damit das Amt verteidigen, in welches sie 2011 Lula da Silva nachgefolgt war. Unter der Ägide der Arbeiterpartei konnten die Lebensbedingungen von Millionen ärmeren Brasilianern verbessert, Aufstiegs- und Bildungschancen verbreitert werden. Gleichzeitig etablierte sich die PT mehr und mehr im korrupten Politikbetrieb, ging im Pragmatismus auf und büßte moralisches Prestige ein. Der verbreitete politische Analphabetismus blieb bestehen. Rechte Leitmedien führen seit Jahren Krieg gegen die PT, mobilisierten die Mittelschichten und trieben das Komplott mächtiger Kreise aus Politik und Justiz gegen Rousseff voran.

Die Präsidentin war am 12. Mai vom Parlament für maximal 180 Tage suspendiert worden. Ihr Vize von der rechtspopulistischen PMDB Michel Temer hält ihr den Platz nicht warm. Sein Kabinett weißer alter Männer drehte den Kurs des Landes radikal. Der kalte Putsch hatte sich länger angedeutet. Die neuen Machtinhaber haben es eilig damit, Rousseffs Aus endgültig zu machen. Interimspräsident Temer unpopulär zu nennen, wäre noch freundlich untertrieben. Die Angriffe auf soziale und Rechte der Arbeitenden, welche auf der Agenda der neuen Regierung stehen, fordern einen wachsenden Widerstand großer Teile der Bevölkerung heraus. Von der versprochenen wirtschaftlichen Trendwende ist noch nicht zu bemerken. Soziale Bewegungen und Gewerkschaften mobilisieren die Straße, planen einen Generalstreik. Temer und seinen Getreuen geht es auch um ihren Hals. Immer wieder tauchen Namen der Granden von PMDB und PSDB bei Korruptionsermittlungen auf. Ein Pulverfass, dass schnell Feuer fangen könnte. Als Präsident wäre Temer gegen Anklagen, die sich auf die Zeit vor seiner Präsidentschaft beziehen, allerdings immun.

Offiziell wird die Eile, zu einem schnellen Urteil zu gelangen, damit begründet, dass Brasiliens Repräsentant auf dem G-20 Gipfel am 4. und 5. September in China erwartet wird. Sollte Temer am 31. August nicht in der Regierungsmaschine sitzen, wäre das tatsächlich fast ein Wunder.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 27./28.08.2016, S.6, Link

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