Schweden wählt am Sonntag die 349 Abgeordneten seines nationalen Parlaments in Stockholm, des „Reichstags“. Alle Indizien sprechen für einen knappen Ausgang des Wahlkrimis, in dessen Zentrum die Frage steht: Werden die Sozialdemokraten (SAP) um den volkstümlichen und wortgewandten Ministerpräsidenten Göran Persson weiterregieren oder nicht? Dessen Kabinett wird bisher von der Linkspartei (Vänsterpartiet) und den Grünen (Miljöpartiet) auf der Grundlage eines Tolerierungsabkommens gestützt.
Rechte Allianz
Die bürgerlichen Oppositionsparteien treten erstmals mit einem Aktionsbündnis und einem gemeinsamen Wahlprogramm an. Der Vorsprung dieser „Allianz für Schweden“ in den Umfragen war zuletzt allerdings zusammengeschmolzen. Spitzenkandidat der Wahlplattform aus Konservativen, Liberalen, Zentrum und Christdemokraten ist der Vorsitzende der konservativen Partei (Moderaterna), Fredrik Reinfeldt.
Für den Sonntag wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert, was zunächst erstaunlich wirkt angesichts einer guten Wirtschaftslage und sinkender Staatsverschuldung des Landes. Der schwedische Staat hat trotz mancher Einschnitte international weiterhin ein positives Image – auch wegen der Familien-, Gleichstellungs- und Bildungspolitik. Nun scheinen die Schweden selbst ihr Modell in Frage zu stellen.
Wahlkampfthema Nummer eins war die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Während die offene Arbeitslosigkeit bei etwa 4,5 Prozent liegt, wird die tatsächliche Quote auf zwölf Prozent geschätzt. Zu diesem Thema trumpften die Bürgerlichen mit einer Mischung aus sozialem Populismus und neoliberalen Rezepten auf. Reinfeldt trat mit der sozialdemagogischen Losung auf: „Schweden braucht eine neue Arbeiterpartei.“ Im Gegensatz zu einer zersplitterten und konzeptionslosen Linken hätte die „Allianz für Schweden“ konkrete Vorschläge, um mehr Jobs zu schaffen. Dazu gehörten: Die Einstellung von Beschäftigten müsse billiger und die Gründung von Unternehmen erleichtert werden. Steuern sollten gesenkt werden. Reinfeldt präsentierte sich als moderner Reformer. Die Linke dagegen warnte vor einem drohenden „Systemwechsel“, sollte das bürgerliche Lager die Wahlen gewinnen.
Mit einem klaren Bekenntnis für den öffentlichen Dienst und der offensiven Forderung nach der Schaffung von 200 000 Arbeitsplätzen in diesem Sektor trat die Linkspartei im Wahlkampf auf. Insbesondere der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Schaffung eines neuen Straßenbahnnetzes für Stockholm wurden dabei ins Gespräch gebracht. Die Partei ist derzeit mit 28 Mandaten im Reichstag vertreten. Aus einer starken Position heraus möchte sie den Sozialdemokraten nach der Wahl Zugeständnisse abringen: Falls diese weiter die Regierung stellen, gilt eine Tolerierung als wahrscheinlich.
Schwedens Watergate
Nachdem die bürgerliche Allianz lange Zeit in den Umfragen vorne gelegen hatte, führte jüngst das „schwedische Watergate“ zu einem Einbruch der Quoten. Hacker der konservativen Liberalen Volkspartei hatten über das Intranet der SAP Wahlkampfunterlagen ausspioniert. Die bürgerliche Opposition geriet unter Druck. Der Generalsekretär der Liberalen, Johan Jakobsson, mußte seinen Stuhl räumen, der des Parteichefs, Lars Leijonborg, wackelt bedrohlich. Nur elf Tage vor der Wahl war der Zeitpunkt der Enthüllung ein schwerer Schlag für die „Allianz“.
Kaum Chancen auf ein Überspringen der Vier-Prozent-Hürde werden der bürgerlichen EU-kritischen Juni-Liste sowie der ehemaligen Linkspartei-Vorsitzenden Gudrun Schyman mit ihrer Feministischen Initiative eingeräumt. Der Einzug der ausländerfeindlichen neofaschistischen „Schwedendemokraten“ scheint ebenfalls nicht wahrscheinlich.
Von Peter Steiniger. Quelle: https://www.jungewelt.de/2006/09-16/058.php