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Einschussbereit

Viele Fans hat Michel Temer im eigenen Land nicht, und Millionen Brasilianer zeigen ihm die rote Karte. Bei Wahlen hätte der amtierende Präsident Brasiliens Schwierigkeiten, genug Stimmen zu erhalten, um die Wahrnehmungsgrenze zu überspringen. Sogar Diego Maradona, der frühere Star der konkurrierenden Fußballmacht Argentinien, dürfte am Zuckerhut weitaus mehr Anhänger finden.

Der kleine Ballzauberer streifte sich jetzt das gelb-grüne Trikot der Seleção Brasileira über. Mit der Nummer 18 kämpft er als „ein Soldat von Lula und Dilma“, wie er auf Facebook verkündete, dafür, dass Temer bald vom Platz fliegt. Maradona, ein echter Linksfuß, spielt einen Ball für Brasiliens Expräsidenten Lula da Silva, der bei den kommenden Wahlen 2018 gute Chancen hätte, erneut die Führung seines Landes zu übernehmen. Falls ihn der rechte Flügel vorher nicht kaputtfoult. Er zeigt sich solidarisch mit der durch eine politisch-justizielle Intrige gestürzten Präsidentin Dilma Rousseff und den 54 Millionen Wählern, die sie erst im Oktober 2014 im Amt bestätigt hatten. Die suspendierte legitime Staatschefin dankte Maradona umgehend „für die Unterstützung und Zuneigung“.

UnbenanntAnhänger findet Temer in den Führungsetagen von Banken und Konzernen im In- und Ausland. Dessen institutionellen Putsch sehen dort etliche als gelungenen Spielzug. Regelwidrig oder nicht, interessiert dabei nicht. Schließlich hat ja nicht Temers Pendant, US-Vize­präsident Joe Biden, gemeinsam mit Donald Trumps Republikanern Barack Obama gestürzt. Rousseff hat es einfach verdient, findet man dort. Nicht nur US-Konzerne, die ein strategisches Interesse daran haben, sich beim brasilianischen Ölriesen Petrobras einzuklinken, sind auf dem Sprung. Auch aus der deutschen Wirtschaft gibt es Beifall. Hier will man gern mit über Temers „Brücke in die Zukunft“, wie dieser sein wirtschaftsliberales Programm nennt. Durch die „Entwicklungen in den letzten Wochen“ keime wieder Hoffnung auf, meint der Chefvolkswirt der Euler-Hermes-Gruppe, Ludovic Subran, im Focus. Trotz schwieriger Ausgangslage – Brasilien leidet unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise und unter Strukturproblemen – scheine nun „wieder alles möglich“. Subran hofft darauf, dass die Temer-Regierung auf eine „Schocktherapie“ setzt und „dringend benötigte Reformen schnell auf den Weg“ bringt.

Darauf hofft er bei Temer nicht umsonst. Auf dessen Spielplan stehen Sozialabbau, Privatisierungen und der Angriff auf Arbeitsrechte. Deutsche Unternehmen sehen darin einen Silberstreif, Investoren Chancen, setzen auf einen „Schub in Brasilien“, wie hiesigen Medien zu entnehmen ist. Auch der Flughafenkonzern Fraport wittert dort Geschäfte. Vor allem im Großraum São Paulo sind deutsche Konzerne wie VW bereits stark vertreten. Während der Diktatur 1964–85 lief es blühend. Mit den Militärs spielte man sich die Bälle zu.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 23.05.2016, S. 8, Link

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