Auf der Basis „von Unterstellungen und Mutmaßungen“ wollte die 75. Strafkammer des Landgerichts Berlin junge Welt-Chefredakteur Arnold Schölzel partout nicht verurteilen. Auf Verstoß gegen das Presserecht lautete die Anklage, welche am Mittwoch dort verhandelt wurde. Schölzel war die Veröffentlichung eines Textes von Inge Viett in Vorbereitung der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2011 angelastet worden. Die Kammer unter dem Vorsitz von Richterin Ina Sdunzig verwarf den Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft in Bausch und Bogen und bestätigte damit den Freispruch Schölzels aus erster Instanz.
Zwei Jahre bereits drehen sich die Mühlräder der Justiz kostspielig. Eine antimilitaristische Passage im Viett-Artikel hatte die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Darin hatte die Autorin es als „legitim“ bezeichnet, daß, wenn Deutschland Krieg führe, „als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird“ (siehe jW vom 4.1.2011: „Notwendiger Aufbauprozeß“). Dies hatte ihr bereits eine Geldstrafe wegen Störung des öffentlichen Friedens eingetragen. Am Mittwoch sagte Viett als Zeugin aus. Im Plädoyer der Verteidigung kritisierte Dr. Stefan König, daß mit solchen Verfahren „Meinungsäußerungen mit den Mitteln des Strafrechts“ bekämpft würden. Die Anklage argumentierte, daß Schölzel damit hätte rechnen müssen, daß ein Artikel der „ehemaligen RAF-Terroristin“ „strafbare Inhalte enthalten könnte“. Der jW-Chefredakteur geht davon aus, daß „etwas anderes als Rechtsempfinden hinter dem Strafantrag steckt“.
In der mündlichen Begründung des Urteils schloß Richterin Sdunzig eine vorsätzliche Pflichtverletzung von seiten Schölzels aus. Sie folgte dabei der Argumentation der Verteidigung. Außerdem würde ihrer Kammer – abweichend vom gegen Inge Viett ergangenen Urteil – eine „Billigung von Straftaten schlechthin“ nicht ausreichen. Strafbar wäre diese nur dann, wenn eine „ganz konkrete Straftat“ beschrieben werde, die „eindeutig (…) erkennbar sei“. Als aufmerksamer Leser von junge Welt outete sich im Zeugenstand der Kriminalbeamte Thorsten Fabian vom politischen Staatsschutz. Kein Unbekannter, wenn es um Verfahren gegen Linke und Antifaschisten in der Stadt geht. Neben der inkriminierten Textpassage gelang es ihm, das Impressum von junge Welt zu ermitteln.
Einigkeit zwischen den Parteien herrschte in der Frage, daß eine den öffentlichen Frieden gefährdende Außenwirkung der Publikation unwahrscheinlich sei, da die hier vertretenen Positionen ohnehin bereits Allgemeingut der Klientel von junge Welt sind.
Von Peter Steiniger. Quelle: Tageszeitung junge Welt, 18.04.2013, Nr. 90, S.2,Link