Die Herren der Ringe greifen zum Besen. Nach dem Proteststurm des Publikums während der Eröffnungsfeier gegen Interimspräsident Michel Temer und einer Häufung von „Temer weg„-Schildern bei Besuchern der Veranstaltungen beschlossen das Internationale Olympische Komitee und das Organisationskomitee Rio 2016 nun ein Verbot politischer Botschaften in den Arenen.
Bereits zuvor hatten Sicherheitskräfte immer wieder eingegriffen, Transparente beschlagnahmt und Besucher aus den Stadien entfernt. Der Sprecher des Organisationskomitees, Mario Andrada, rechtfertigte den Schritt am Sonntag vor der Presse in Rio de Janeiro mit der Olympischen Charta, die Politik und Sport voneinander trennt. „Wir wollen saubere Arenen“, betonte Andrada. Gegen mündliche Slogans und Gesänge mit politischer Aussage wolle man jedoch nicht einschreiten. Hätte man solche nicht akzeptiert, „wäre das halbe Maracanã leer gewesen“, so der Sprecher unter Anspielung auf das lautstarke Temer-Bashing am vergangenen Freitag im größten Stadion der Landes. Wer in anderer Form protestieren wolle, müsse dies bitte außerhalb der „Tempel des Sports“ tun.
Das IOC-Verdikt stützt sich auf ein im Mai noch von der mittlerweile suspendierten Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) unterzeichnetes Gesetz. Dieses untersagt Botschaften und Plakate mit rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten oder solche, die anderen Formen der Diskriminierung Vorschub leisteten. Transparente sollen während Olympia keinem anderen Zweck als „festlichen und freundschaftlichen Manifestationen“ dienen. Unabhängig vom Olympia-Ukas garantiert die brasilianische Verfassung jedoch uneingeschränkt die Rede- und Meinungsfreiheit. Unter gänzlich anderen politischen und ökonomischen Vorzeichen vom damaligen Präsidenten Lula da Silva 2009 eingeworben, war das globale Sportevent einmal als nationales Freudenfest aller Brasilianer gedacht.
Doch die Freude ist mittlerweile sehr geteilt. Olympia bietet nun das Entertainment zur laufenden Amtsenthebung von Rousseff, die faktisch einen Staatsstreich darstellt, und einer scharfen politischen Rechtswende der Interimsregierung ihres Stellvertreters. Während das Spektakel Schlagzeilen macht, wird im Parlament ein neues Haushaltsrecht vorangetrieben, das die Ausgaben für Bildung und Gesundheit drosselt. Die endgültige Entmachtung der gewählten Staatschefin durch den Senat wird vorbereitet.
Ist schon die Vorderseite der Medaille stumpf, ist Olympia für die meisten Brasilianer und Bewohner von Rio de Janeiro trotz Milliardenausgaben ohnehin kein Gewinn. Zehntausende wurden aus ihren Quartieren verdrängt, Freizeitsportstätten vernichtet, drängende Probleme wie Verkehrsinfarkt, Arbeitslosigkeit und Lücken im Bildungs- und Gesundheitswesen nicht angegangen. Trotz und wegen der Militarisierung blieb Rio ein besonders gefährlicher Ort mit Rekordraten bei Raubüberfällen und Morden.
Das „Diskriminierungsopfer“ Temer, um welches sich das IOC nun sorgt, ist keineswegs populärer als die glücklose und sabotierte Präsidentin. Auch sie war in der Vergangenheit Schmähungen durch die Massen ausgesetzt, so während der Fußball-WM 2014 und während der von den Konzernmedien angestachelten Demonstrationen gegen sie und ihre Partei. Sie stellte sich dem mit deutlich stärkeren Nieren als der Mann, der ihr das Amt nehmen möchte. Dass er nicht nur im Land umstritten, sondern auch international isoliert ist, verdeutlichte die dürftige Beteiligung hoher Staatsgäste an der Olympischen Eröffnungsfeier in Rio. Wie die Zeitung Estado de São Paulo nachrechnete, waren 18 Staats- und Regierungschefs dabei. Das Außenministerium hatte zunächst 45 genannt. Doch die meisten Gäste waren zweite Garnitur.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 09.08.2016, S.7, Link