In der Stadt am Zuckerhut wird aufgespielt. Bis zum 21. August steht die brasilianische Metropole Rio de Janeiro im Zeichen der Ringe. Die als Cidade Maravilhosa, wundervolle Stadt, Besungene ist Gastgeberin der XXXI. Olympischen Spiele. Die Sommerspiele mitten im Winter sind eine Premiere für den südamerikanischen Kontinent.
Etliche Sportstätten wurden dafür neu errichtet oder modernisiert, in die völlig überlastete Verkehrsinfrastruktur wurde investiert. Tausende Bewohner der Favelas, der ärmeren Quartiere, mussten Neubauvorhaben weichen. Die soziale Ungleichheit unter Rios Bewohnern nahm in den vergangenen Jahren weiter zu. Trotz einiger Pannen und Verzögerungen, einem nur mehr oder weniger fertig gestellten Olympischen Dorf, Zika-Mücken in der Luft und Dreck im Wasser der Guanabara-Seglerbucht ist die Stadt für das Großevent gerüstet.
Gerüstet ist hier das richtige Wort: Etwa 85.000 Polizisten und Soldaten sollen das viele Milliarden teure Großereignis absichern, das mit Eintrittspreisen aufwartet, die für die meisten Brasilianer unerschwinglich sind. Sie bleiben Zaungäste. Olympia ist vor allem auch ein Magnet für Touristen aus den reichen Ländern und ein globales Medienereignis. Das große Aufgebot an Sicherheitskräften soll der Terrorgefahr begegnen, den risikovollen Alltag von den Besuchern fern- und politische Proteste kleinhalten. Trotz einer fortschreitenden Militarisierung der öffentlichen Sicherheit stieg in Rio die Mordrate auf neue Rekordzahlen, auf das Konto der Polizei geht hier statistisch jeden Tag mehr als ein Toter.
Für Rio und ganz Brasilien soll es eine Riesenparty werden. Davon versteht man hier einiges, doch die Euphorie hält sich in Grenzen. Das Land ist wirtschaftlich und politisch in der Krise. Nach Umfragen ist eine Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr scharf auf die Spiele. Das sah 2009 noch anders aus, als Brasilien mit Präsident Lula da Silva in Kopenhagen vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Zuschlag erhielt. Im Mai wurde seine Nachfolgerin Dilma Rousseff, ebenfalls von der Arbeiterpartei (PT), suspendiert, „damit Vorwürfe gegen sie, zum Beispiel Tricksereien zur Verschleierung der realen Defizithöhe, juristisch geprüft werden können“, plappern deutsche Blätter Globo nach. Der Medienkonzern war ein Motor des rechten Putsches im Parlament. Dagegen regt sich im ganzen Land weiter Protest. Am Mittwoch ging die Polizei in Duque de Caixas nahe Rio hart gegen Spielverderber vor, die am Rande des olympischen Fackellaufs für mehr Geld für Bildung und gegen Interimspräsident Temer demonstrierten. Bei der Eröffnungsfeier am Freitag im Maracanã-Stadion, der Lula und Rousseff fernbleiben, erwartet diesen ein gellendes Pfeifkonzert. Das IOC plant an dieser Stelle eine laute Musikeinlage.
Und nun zum Sport: Beim Treffen der Weltelite sind einige fantastische Rekorde in Leibesübungen zu erwarten. Einen haben die Spiele schon vorab sicher: den für Heuchelei beim Thema Doping. Dass es die „gedoptesten“ Spiele der Geschichte werden, glaubt nicht nur der Sportmediziner Perikles Simon, jüngst in der Süddeutschen Zeitung. Die unter „ferner liefen“ in die Statistiken eingehen werden, können später sagen, dass dabeisein alles war. Das Rennen um die Amtsenthebung von Rousseff wird voraussichtlich Ende August im Senat endgültig entschieden. Dass es dabei fair zugeht, ist auch eher unwahrscheinlich.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 05.08.2016, S.1, Link