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Relaunch für Brasilien

Hinter den Gittern des Gefängnisses der Bundespolizei in Curitiba, der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Paraná, werden große Pläne geschmiedet, wie „Brasilien erneut glücklich“ zu machen ist. Unter dieser Losung erinnert die Arbeiterpartei (PT) an die besseren Tage, die das Land bis 2011 unter der Ägide des dort seit dem 7. April in Einzelhaft sitzenden früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva gesehen hat. Für die in zehn Wochen anstehenden Wahlen hat die PT Lula, wegen angeblicher Korruption zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, zu ihrem Kandidaten erklärt. Alternative: keine. Jedenfalls solange nicht, wie die Oberste Wahlbehörde den Mitbegründer der PT nicht von diesen ausschließt. Das allerdings gilt als wahrscheinlicher als Lulas Umzug in den „Palast der Morgenröte“ in der Hauptstadt Brasília, den sich nach Umfragen die meisten Wahlberechtigten wünschen.

Die Arbeiterpartei machte nun ihre Lulas Handschrift tragenden Grundlinien für den Fall öffentlich, dass sie erneut regieren darf. Sie sollen eine politische Antwort auf die tiefe Krise der Gesellschaft geben. Vom Burgfrieden der Klassen wird nun nicht mehr geträumt. Nicht weniger als eine „demokratische Neugründung von Brasilien“ wird demnach angestrebt. Die PT verspricht, von der Regierung von Präsident Michel Temer nach dem parlamentarischen Putsch gegen Dilma Rousseff 2016 erlassene Gesetze ebenso rückgängig zu machen, wie die Privatisierungen von öffentlichem Eigentum. Eine Sozialpolitik, welche die Ungleichheit verringert, soll zurückkehren. Die nationale Souveränität würde wieder Vorrang vor den Interessen des internationalen Kapitals erhalten. Wieder aufwärtsgehen soll es auch bei Bildung, Gesundheit und Kultur. Mit einem ökologisch ausgerichteten „neuen Entwicklungsmodell“ nähme die PT zudem eine deutliche Korrektur zur früher von ihr verfolgten Linie vor.

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Unter Beteiligung der Bevölkerung soll eine längst überfällige Politikreform umgesetzt und die Verfassung erneuert werden. Privilegien der Kasten im Staatsdienst würden beschnitten werden. Mit dem Ziel, die Massenmedien zu demokratisieren, greift das Lula-Programm die Macht der Konzerne an, welche diesen Sektor beherrschen, insbesondere die von Globo, einem Promoter des Putsches und der Kampagnen gegen Lula und die PT. Mit einer Reform der Justiz sollen die Rechte der Bürger garantiert werden. Angesichts solcher Pläne ist eine zugelassene Kandidatur Lulas, welche einen Wahlsieg der Linken wahrscheinlich machen würde, für die Herrschenden erst recht keine angenehme Vorstellung.

Als Koordinator des Programms einer neuen Regierung Lula tritt der frühere Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad, in diesen Tagen stärker in Erscheinung. Gemeinsam mit anderen Köpfen der PT stattet er Lula regelmäßig Besuche in dessen Zelle ab, wo an den Details des Manifests weiter gefeilt wird. „Lula verdient unser aller Solidarität“, erklärte er am vergangenen Mittwoch in Curitiba vor dessen Anhängern, die dort bereits seit 113 Tagen eine Mahnwache abhalten. Gemeinsam müsse man „das Land wieder auf Kurs bringen“.

Auch aus dem Ausland erhält der politische Gefangene Unterstützung. In einem offenen Brief an Brasiliens Regierung fordern jetzt 29 Mitglieder des Kongresses in Washington Lulas Freilassung und klagen die „Verfolgung von politischen Gegnern“ in Brasilien und den „Angriff auf Demokratie und Menschenrechte“ an. Zu den Unterzeichnern zählt auch Senator Bernard „Bernie“ Sanders, der 2016 bei den Vorwahlen der Demokraten Furore machte. Sie erinnern auch an den weiter unaufgeklärten Mord an der Stadträtin der linken PSOL Marielle Franco im März in Rio de Janeiro und fordern eine internationale Untersuchung angesichts deutlicher Indizien dafür, „dass staatliche Sicherheitskräfte in das Verbrechen verwickelt“ waren.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 28.07.2018, Seite 6 / Ausland, Link