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Brasilien im Rückwärtsgang

Foto: Mídia NINJA

Mit der Wahl von Jair Bolsonaro am 28. Oktober zum 42. Präsidenten Brasiliens wurde ein neues, düsteres Kapitel aufgeschlagen. Die Abstimmung stellte die Weichen für einen marktradikalen Autoritarismus und bedeutet einen kulturellen Dammbruch: 55 % der gültigen Stimmen entfielen auf den Anhänger der von 1964 bis 1985 währenden zivil-militärischen Diktatur, dessen rassistische, homophobe und frauenfeindliche Ausfälle Legion sind, auf einen Anstifter zu Haß und Gewalt, der Folter und politische Morde rechtfertigt. Neben Generälen vom alten Schlag weiß Bolsonaro rechte evangelikale Sekten mit Millionenanhang hinter sich.

Mit Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT unterlag die Alternative zur Barbarei letztlich deutlich. Nur vier Jahre nach der Wahl der PT-Politikerin und früheren Widerstandskämpferin Dilma Rousseff – 2016 durch ein Komplott gestürzt und durch ihren konservativen Vize, Michel Temer, ersetzt – hat sich die politische Landschaft gründlich verändert. Das ist das Ergebnis eines von der inneren und der äußeren Reaktion betriebenen Rollbacks. Brasiliens Eliten befestigen ihre aus der Sklavenhaltergesellschaft überkommene Position, Südamerikas Vormacht wird engster Vasall des Weißen Hauses, multinationale Konzerne erhalten Zugriff auf gewaltige Ressourcen.

Die „braune Welle“ stellt einen Reflex auf die tiefe Krise von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft dar. Sie legt offen, wie verbreitet der politische Analphabetismus und wie groß die moralisch-ethische Ignoranz insbesondere der weißen Mittelschichten ist. Wie schon 1964 folgen sie der autoritären Formel aus „Gott, Familie und Vaterland“. Die Bolsonaro-Wähler mobilisierte die Angst vor der Kriminalität in den Metropolen und
eine ahistorische, moralisierende Korruptionsdebatte der großen Medien. Gegen die 13 Jahre lang regierende Arbeiterpartei gerichtet, erzeugte sie eine allgemeine Ablehnung der traditionellen, oft in Skandale verwickelten Politikerkaste. Das unterstreicht auch die Zahl von 41 Millionen Bürgern, die trotz Wahlpflicht nicht oder ungültig abstimmten.

Die bürgerlichen Parteien wurden marginalisiert, fielen in die Grube, die sie sich mit der verhassten Temer-Regierung selbst gegraben hatten. Die Linke konnte ihre Bastionen im Nordosten und Norden Brasiliens halten. Mit 57 Abgeordneten zieht die Arbeiterpartei als stärkste Fraktion ins neue Unterhaus ein. Neun der 26 Bundesstaaten werden ab der 2019 beginnenden Legislatur von Gouverneuren aus dem linken Lager regiert.

Ein Selbstläufer war Bolsonaros Sieg nicht. Er wurde durch Betrug und Manipulation erst ermöglicht. Der angebliche Rebell gegen das Establishment sitzt seit fast drei Jahrzehnten im Kongress, sein ganzer Clan lebt von öffentlichen Ämtern. Gesponsert von Unternehmern, wurden von Bolsonaros PR-Spezialisten per Whatsapp millionenfach verleumderische „Fake news“ über Haddad verbreitet. Nach Studien sollen bis zu 90 Prozent der rechten Wähler diese für bare Münze genommen haben.

Der frühere Präsident Lula da Silva sitzt seit April nach einer Prozeßfarce im Gefängnis. Dem eigentlichen und favorisierten PT-Kandidaten untersagte die parteiische Justiz den Wahlantritt. Richter Sérgio Moro, der ihn hinter Gitter brachte, wird nun unter dem Faschisten Bolsonaro Justizminister.

Schon vor Amtsantritt des neuen Präsidenten, der „eine noch nie dagewesene Säuberungswelle“ angekündigt hat, herrscht ein Klima der Repression. Im Visier haben die Bolsonaristas dabei besonders das Bildungswesen. Das Ministerium für Arbeit soll abgeschafft, die Renten sollen beschnitten und kapitalisiert werden. Freie Fahrt erhalten Agrarkonzerne: Dem Umweltschutz droht ein Supergau. Der Finanzhai Paulo Guedes, Strippenzieher hinter Bolsonaro, hat eine gewaltige Privatisierungswelle angekündigt. Für dessen Wähler wird es ein böses Erwachen geben.

Von Peter Steiniger, erschienen in: Rotfuchs, Ausgabe 251, Dezember 2018, S.4

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