Die Hebel der Macht sind in Bewegung. Die Regierung von Michel Temer und die rechte Parlamentsmehrheit wollen rasch Tatsachen schaffen. Nach der endgültigen Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im Senat Ende August nach einer Prozessfarce ist der Weg frei für eine Agenda unter neoliberalen Vorzeichen.
Unter dem Motto „Eine Brücke in die Zukunft“ hatte Temers Sammelbecken von Politikkarrieristen, die PMDB (Partei der Demokratischen Bewegung), bereits vor gut einem Jahr die Eckpunkte dargelegt. Es ist ein Abbruchprogramm. Ziel ist ein „schlanker Staat“. Die Rezepte gegen die Krise mit hoher Arbeitslosigkeit und Teuerung, unter der die Bevölkerung leidet, heißen Kürzungen im Etat, Privatisierung öffentlichen Eigentums und Abbau von Arbeitsrechten.
Unter Preisgabe nationaler Interessen hat das Parlament in Brasília bereits Anfang Oktober die Gesetze zur Ausbeutung gewaltiger Öl- und Gasvorkommen (Pré-Sal) vor der Küste des Bundesstaates Espírito Santo bis hinunter nach Santa Catarina gravierend geändert. Auslandskapital kann dort nun Förderstätten errichten, ohne dass Brasiliens staatlicher Petrobras-Konzern weiter als Betreiber federführend sein muss. Das Projekt ist Außenminister José Serra von der konservativen PSDB seit langem besonders wichtig. Dass sein Herz mit denen der Manager von US-Konzernen im selben Takt schlägt, ist kein Geheimnis. Die linke Opposition sieht in der Novelle einen „Ausverkauf“ der Schätze Brasiliens. Mit den Petrodollars, die sich aus dem schwarzen Gold aus Tausenden Metern Tiefe gewinnen lassen, sollte nach den Plänen der PT-Regierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff auch die soziale Entwicklung des Landes vorangetrieben werden. Doch der Einfluss ihrer von den Globo-Medien und der Justiz attackierten Arbeiterpartei auf die Politik des Landes ist nach erheblichen Verlusten der PT bei den Kommunalwahlen Anfang Oktober auf einem Tiefpunkt angelangt.
Nun folgte der nächste Streich von Temers bösen Buben. Im Eilverfahren verabschiedete der Nationalkongress am Montag die Verfassungsnovelle PEC 241. 366 Parlamentarier stimmten für, nur 111 gegen den Zusatz, zwei Abgeordnete enthielten sich. Die sieben neugefassten Artikel des brasilianischen Grundgesetzes zur Haushaltspolitik frieren für volle zwanzig Jahre die öffentlichen Ausgaben ein. Steigen darf der Etat des Staates insgesamt nur noch in Höhe der Inflation. Hinten runter fallen damit besonders Mittel für Bildung, Gesundheit und Soziales. Umgerechnet fast 100 Milliarden Euro weniger werden infolge der Novelle in diesen Bereichen investiert werden. Durch den Nationalen Bildungsplan der Vorgängerregierung aus dem Jahr 2014 wurde ein dicker roter Strich gemacht. Dieser sah vor, dem Notstand im Bildungsbereich durch die Schaffung von Millionen dringend benötiger Krippen-, Schul- und Hochschulplätze zu begegnen. Verbessert werden sollte die Qualität der Betreuung und Ausbildung. Löhne von Lehrern und Erziehern sollten steigen, 14 Millionen Brasilianer auf das Bildungsniveau der Grundschule gebracht werden, um den Analphabetismus zu besiegen. Genauso dramatisch sind die Kürzungen, die PEC 241 bei der Sozialhilfe und für das Gesundheitswesen nach sich zieht. Dass sich deshalb nun die vielen politischen Analphabeten, die mit vollen Bäuchen auf leere Kochtöpfe schlugen, auf die Straße bewegen, so wie sie das gegen die PT taten, die angeblich das Vaterland ins Unglück stürzte, ist nicht zu erwarten. Dass der Senat die Novelle absegnet, hingegen schon.
Egal auf welcher Seite der infolge des Machtkampfes polarisierten Gesellschaft sie stehen, treffen wird der neue Kurs die meisten Brasilianer, die nicht zu den Besitzenden zählen. Vorbei ist es auch mit steigenden Mindestlöhnen. Von dem von Temers Wirtschaftsexperten versprochenen Aufschwung ist nichts zu sehen. Die offene Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen und liegt nun bei zwölf Prozent. Als nächsten Punkt möchte die Temer-Regierung eine Rentenreform abhaken, welche die Lebensarbeitszeit für Frauen und Männer deutlich heraufsetzt.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 12.10.2016, S. 7, Link