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Quadratur des Kreises

Der Konjunkturmotor stottert. Die Aktien der führenden Unternehmen Portugals verzeichnen an der Börse Lissabons ein neues Quartalstief. Um ihn zum Laufen zu bringen, ist die seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt befindliche Minderheitsregierung des Sozialisten António Costa weiter auf EU-Milliarden angewiesen. Gleichzeitig möchte sich das vom Linksblock, den Grünen und den Kommunisten (PCP) tolerierte Kabinett die Brüsseler Ingenieure möglichst vom Hals halten.

Die nach deren Vorgaben von den konservativen Vorgängerregierungen exekutierte Sparpolitik hatte die seit Jahren kriselnde Wirtschaft des Landes weiter abgewürgt. Der mit dem EU-Rettungsschirm der Troika, unter dem Portugal bis 2014 geführt wurde, verknüpfte Sozialkahlschlag war von den Wählern im vergangenen Herbst dann deutlich quittiert worden. Seitdem arbeitet Portugals neue Regierung mit einigem Erfolg an der Quadratur des Kreises. Offiziell folgt sie den Brüsseler Budgetvorgaben – ohne sie einzuhalten. Statt unbedingter Austeritätspolitik erfolgt eine schrittweise Rücknahme unsozialer Maßnahmen.

Mindestlöhne und Renten steigen wieder, zum 1. Juli wird im öffentlichen Dienst die 35-Stunden-Woche zurückkehren. Erfolge, die sich auch die größte Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical mit auf ihre Fahnen schreiben kann, die der PCP nahe steht und die Mitte-rechts-Regierung unter Pedro Passos Coelho mit Streiks und Protesten immer wieder unter Druck setzte. Die PCP betont klar den Vorrang nationaler Interessen, und Costas PS steht bei seinen linken Stützparteien weiter im Wort. Das hat Gewicht, auch wenn Brüssel moniert, dass Portugal seine Defizitziele für den Staatshaushalt erneut verfehlen könnte, so wie es schon der konservativen Vorgängerregierung im Wahljahr 2015 erging. Nicht zuletzt aufgrund der Maßnahmen im Zusammenhang mit den gescheiterten Banken Espírito Santo und Banif, die Milliarden verschlingen. Eigentlich müssten Defizitsünder Portugal und auch das iberische Nachbarland Spanien nach den EU-Regularien nun büßen. Doch die EU-Kommission befürchtet nicht zuletzt, dass dies Wasser auf die Mühlen der linken Protestpartei Podemos leiten würde, die bei den Parlamentswahlen am 26. Juni, drei Tage nach dem britischen Brexit-Votum, nach der Macht in Madrid greifen könnte. Costa betont, dass allein die gute Absicht zähle, und auch der konservative Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa wirbt in Brüssel und Berlin um Verständnis.

06Die Stärkung der Binnenkaufkraft war nach Jahren ihrer Schrumpfung unerlässlich. Niedrigzinsen, billiges Öl und ein exportfördernder schwacher Euro sind externe und somit unsichere Faktoren, die über das Auf oder Ab der portugiesischen Wirtschaft mitbestimmen. Zu den Maßnahmen, die auf lange Sicht Wirkung zeigen sollen, gehören Reformen im Bildungsbereich. Die Sozialisten und ihre Alliierten setzen dabei auf den öffentlichen Sektor. Bildungsminister Tiago Brandão Rodrigues unterzieht die Verträge zwischen Staat und Privatschulen einer Revision. Mehr Steuergelder sollen in staatliche Schulen fließen. Dies zieht einen Sturm der Entrüstung in bürgerlichen Kreisen, konservativen Medien und sozialen Netzwerken nach sich. Für diese Umkehrung der Praxis unter seiner Regierung kritisierte auch Ex-Premier Passos Coelho den PS-Politiker vehement, dem er vorwarf, kein tatsächlicher Bildungsminister, sondern Handlanger der Linksparteien zu sein. Ähnlich wie der Linksblock verweisen die Kommunisten auf die Schließung Tausender Schulen unter PSD/CDS-Ägide. Private Schulen hätten nicht allein Versorgungslücken geschlossen, sondern es sei eine Politik hin zur Privatisierung des Bildungssystems betrieben worden.

Stärker investiert werden soll auch in Programme zur Erwachsenenbildung. Wegen der Rotstiftpolitik war die Anzahl derer Teilnehmer von 200.000 im Jahr 2010 auf nur noch 40.000 vier Jahre später zurückgegangen. Premierminister Costa widerspricht Vorwürfen, die PS sei auf „linke Abwege“ geraten, und betont sein Selbstverständnis als „gemäßigter Sozialdemokrat“. Seinen Minister verteidigt er vehement. Mit den Einschnitten bei den Privatschulen könnten kostenlose Lehrmittel finanziert werden. Costa lobt Brandãos „Mut, sich den Lobbys zu widersetzen“ und das Geld dorthin zu geben, wo es wirklich benötigt wird.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 16.06.2016, S.6, Link

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