Die in mehreren hunderttausend Exemplaren verbreitete Zeitschrift Istoé zählt den Countdown bis zur Verurteilung des früheren brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) herunter. In den nächsten Tagen werde Untersuchungsrichter Sérgio Moro, der die „Lava-Jato-Taskforce“ zum Korruptionsskandal um den Petrobras-Ölkonzern leitet, seine Entscheidung mitteilen, berichtet das Wochenblatt in seiner aktuellen Ausgabe. Auch wie diese ausfällt, soll ihr von den Ermittlern bereits gesteckt worden sein: Moro werde den Politiker in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 22 Jahren verurteilen, frohlockt die rechte Postille. Für Geldwäsche solle Lula da Silva zu zehn, wegen Bestechlichkeit zu weiteren zwölf Jahren verurteilt werden.
Das Verfahren dreht sich um eine Luxusimmobilie in Guarujá an der Küste des Bundesstaates São Paulo. Die Ermittler unterstellen Lula da Silva, der verschleierte wahre Eigentümer des „Triplex“ zu sein und von dessen aufwendiger Renovierung durch den Baukonzern OAS profitiert zu haben. Vom Expräsidenten wird dies bestritten. Moro ist Ermittler und Richter in einer Person – ein Paradox der brasilianischen Rechtspflege. Seine politische Gegnerschaft zur PT ist belegt. Aus Mangel an echten Beweisen, den die Taskforce selbst einräumt, soll sich das Urteil auf Indizien und im Zirkelschluss auf ihre gewonnenen Überzeugungen stützen. Die Verteidigung Lula da Silvas sieht darin Methoden „der heiligen Inquisition, absolutistischer Monarchien“ und eine Analogie zu „faschistischen Theorien“.
Das Land wird von einer tiefen Staatskrise erschüttert und steht vor einem neuen Generalstreik am 30. Juni. Neben vielen anderen Größen ist Staatschef Michel Temer in einen handfesten Korruptionsskandal verwickelt, ebenso der führende Politiker der konservativen PSDB, Aécio Neves. Trotz juristischer und medialer Verfolgung wäre Lula da Silva Favorit für 2018 regulär anstehende Präsidentschaftswahlen. Seine Verurteilung könnte die Linke ihres Hoffnungsträgers berauben.
Von Peter Steiniger. Veröffentlicht in: junge Welt, 26.06.2017, Seite 1, Link