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Spuk im Hohen Haus

Tumult und Gewalt im Nationalkongress in Brasília: Sie schlugen eine Glastür ein und bahnten sich den Weg in den Plenarsaal der Abgeordnetenkammer. Etwa 50 ultrarechte Demonstranten stürmten am Donnerstag nachmittag äußerst ruppig in eine mit gerade nur zehn Volksvertretern schwach besuchte Sitzung des Parlaments. 

Die Truppe, die sich in einer geschlossenen Face­book-Gruppe mit dem Namen „Os patriotas“ (Die Patrioten) verabredet haben will, besetzte die Tribüne mit dem Podium. Sie hatten ein großes Anliegen mitgebracht: die Forderung nach einer „militärischen Interven­tion“, einer Machtübernahme durch die Armee, wie sie Brasilien 1964 bereits einmal erlebt hatte. Damit solle der Korruption im Land ein Ende bereitet werden. Mehrere Besetzer versuchten, den Vizepräsidenten der Kammer, Waldir Maranhão, welcher die Leitung der Versammlung innehatte, von seinem Stuhl zu zerren. Maranhão zählt zum konservativen Spektrum. Er wehrte sich und unterbrach daraufhin die Sitzung. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, die Elektroschocker einsetzten und versuchten, einzelne Eindringlinge wieder aus dem Saal zu drängen. Wegen eines Verdachts, dass unter den ungebetenen Gästen Bewaffnete seien, wurden die Abgeordneten eilig aus dem Saal gebracht.

„Es ist unser Haus, das Haus des Volkes!“ riefen die Demonstranten. Der Flashmob stimmte die Nationalhymne an und skandierte „Unsere Fahne wird niemals rot sein!“ Hochrufe auf Sérgio Moro waren zu hören. Der Untersuchungsrichter aus Curitiba leitet die Ermittlungsgruppe im „Lava Jato“-Schmiergeldskandal um große Konzerne wie das Energieunternehmen Petrobras und den Bauriesen Odebrecht. Er spielte einen aktiven Part beim parlamentarisch-justitiellen Putsch gegen Präsidentin Dilma Rousseff (PT) und schreckte dabei auch vor offenkundigen Rechtsbrüchen nicht zurück. Mit hanebüchenen Anklagen versucht er derzeit, deren populären Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva politisch kaltzustellen. Während der großen Demonstrationen der Mittel- und Oberschichten in den vergangenen Jahren gegen die Arbeiterpartei PT und die Regierung Rousseff wurde Moro von den Konzernmedien und auf rechten Plattformen in den „sozialen Netzwerken“ zu einer Art Volkstribun für Wutbürger aufgebaut.

unbenanntErst nach zwei Stunden konnte der Saal schließlich durch die Polizei geräumt werden. Ihr Protest hätte sich auch gegen die neue „kommunistische Regierung“ von Präsident Michel Temer gerichtet, äußerten mehrere der Demonstranten. Ein Vorwurf, den man gut und gerne postfaktisch nennen kann. Die gesamte Gruppe wurde in Gewahrsam genommen, ihren Mitgliedern drohen nun Verfahren wegen der Zerstörung öffentlichen Eigentums und eines Angriffs auf die Legislative. Ein Sprecher der Regierung verurteilte die Aktion als gegen die Verfassung und die demokratischen Normen gerichtet. In der torpedierten Sitzung wurde eine Gesetzesvorlage über eine Amnestie von Beschuldigten im „Lava Jato“-Skandal diskutiert. Die politische Klasse insgesamt ist durch die mediale, moralisch aufgeladene Skandalisierung von Korruptionsfällen und eine Kultur der Straflosigkeit weitgehend diskreditiert. Durchaus zu Recht: Die Korruption auf dieser Ebene ist faktisch Teil der politischen Kultur und reicht lange zurück, auch wenn sie meist als ein Erbe der PT-Ära verkauft wird.

Praktisch die gesamte konservative Elite steht mit einem Bein im Knast. Es geht um fette Provisionen für Mittlerdienste bei öffentlichen Aufträgen und Millionen für die schwarzen Kassen der Parteien. Solche Gelder sind für die oft inhaltslosen, stark personalisierten Kampagnen mit viel Konfetti in riesigen Wahlkreisen aufgrund eines rückschrittlichen Systems der Wahlkampffinanzierung fast unerlässlich. Erst 2015 hatte die Arbeiterpartei beschlossen, keinerlei Spenden mehr von Unternehmen anzunehmen. Ihr Image hatte unter diesen Praktiken gelitten, die einseitig zu ihrer Kriminalisierung benutzt wurden. Eine von ihr propagierte Politikreform wurde konsequent blockiert. Der mit der Propaganda gegen die Linke seit Jahren gesäte Hass trägt Früchte, er bereitete den Boden, auf dem solche Gruppen wie die sogenannten Patrioten wachsen.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 18.11.2016, S. 7, Link