Willkommen in der „Republik von Curitiba“: Etwas mehr als zwei Monate nach dem Verlust der parlamentarischen Immunität hat der PMDB-Politiker Eduardo Cunha eine Zwölf-Quadratmeter-Zelle in der Hauptstadt des Bundesstaates Paraná bezogen. Er ist weit mehr Luxus gewohnt und ein Parteifreund von Brasiliens Präsidenten Michel Temer.
Auf unbestimmte Zeit sorgt nun ein Gefängnis der Bundespolizei für seine Kost und Logis. Die Ermittlungsgruppe im „Lava Jato“-Korruptionsskandal, die wie ein Staat im Staat agiert, ist dessen Hausherr. Am Mittwoch war Cunha in seiner Dienstwohnung in der Hauptstadt Brasília auf Weisung des Richters Sérgio Moro festgenommen und umgehend mit einem Polizeijet nach Curitiba verbracht worden. Cunha steht seit langem unter dem Verdacht von Geldwäsche und Korruption. Auf Schweizer Konten soll er Millionen aus Schmiergeldzahlungen gebunkert haben. Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgte nun mit der Begründung, dass Flucht- und Verdunkelungsgefahr bestünde.
Bereits Anfang Juni hatte Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot beim Obersten Gericht Haft für Cunha und weitere Köpfe der Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) wegen Behinderung der Justiz gefordert. Da hatte der evangelikale Prediger seine große Mission allerdings bereits so gut wie erfüllt. Bei der politisch motivierten Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT), die am 31. August endgültig wurde, wirkte Cunha als Mastermind mit. Der mit allen Wassern gewaschene Ultrakonservative aus Rio de Janeiro war seit Februar 2015 bis zu seinem Rücktritt am 7. Juli 2016 Präsident des brasilianischen Unterhauses. Ins Visier der Justiz geraten, war er bereits im Sommer 2015 in das Lager der Opposition hinüber gewechselt, obwohl seine PMDB da noch der PT-geführten Regierungskoalition angehörte. In der Kammer wirkte er als Promoter rückschrittlicher und neoliberaler Gesetzesvorhaben. Als ihm die Partei der Präsidentin in einem Prozess in deren Ethikkommission wegen Falschaussagen zu seinen ins Ausland verschobenen Millionen ihren Beistand verweigerte, startete er einen Rachefeldzug. Seine Zustimmung zur Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Rousseff wegen angeblicher Bilanztricks brachte den Stein ins Rollen. Die Verlierer der Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2014 – Rousseff hatte den Kandidaten der Rechten, Aécio Neves von der PSDB, in der Stichwahl geschlagen – inthronisierten gemeinsam mit der koalitionsbrüchigen PMDB deren Vize Michel Temer. Das Oberste Gericht hielt ihm den Steigbügel.
Das Ende der PT-Ära von Luiz Inácio Lula da Silva und Rousseff brachte Brasilien eine Rechtswende ein, doch Cunha nicht die Wiederauferstehung. Als Inkarnation einer korrupten Kaste ist er politisch verbrannt. Er selbst sieht sich als eine Art christlichen Märtyrer, dessen Verdienste um die Rettung Brasiliens himmelhoch einzuschätzen sind. Doch gerade noch zehn Abgeordnete hielten Cunha die Treue, als ihn das Parlament, das er zuvor dirigiert hatte, am 12. September ausschloss. Erst 2027 dürfte er wieder für ein Amt kandidieren. Auch von Temer sieht er sich verraten. Dunkelmann Cunha droht seitdem damit, in einem Buch auszupacken und weitere Politikprominenz mit sich in den Abgrund zu reißen. Damit macht er sich dort auch keine neuen Freunde. Auf Twitter beklagte sich Cunha seit Wochen über eine Kampagne der Globo-Medien, selbst Förderer des Putsches, gegen ihn. Längst läuft das nächste Stück im Machtkampf. Die PSDB-Granden konkurrieren untereinander, und Temer und seinen PMDB-Chargen geben sie keine Ewigkeitsgarantie. Richter Moro spielt mit oder sein eigenes politisches Spiel.
Jubel darüber, dass der Mentor des Putsches endlich den Knast von innen sieht, wäre verfrüht. Von einer „Kuh für die Piranhas“, einem Bauernopfer, spricht nicht nur der Abgeordnete der linken PSOL, Jean Wyllys. Das wirkliche Ziel der Herren in Curitiba heißt weiter Lula. Unter fadenscheinigen Anklagen wird der legendäre Expräsident von der PT von Moros Leuten verfolgt, um ihn politisch zu eliminieren.
Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 21.10.2016, S. 7, Link