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Pragmatiker und Visionär

Eine sozial gespaltene Gesellschaft und ein überforderter, verfilzter Polizeiapparat, dies schien lange nur das Schweden aus den Kriminalromanen von Maj Sjöwall und Per Wahlöö zu sein. Zu sehr glänzte das „Schwedische Modell“, das die Vorzüge von Kapitalismus und Sozialismus zu versöhnen schien.

Am 28. Februar 1986, um 23:23 Uhr, wurde das Trugbild mit einem Revolverschuß von der Realität eingeholt. Mitten in der Stockholmer Innenstadt wurde der ohne Polizeischutz flanierende sozialdemokratische Premier Olof Palme aus nächster Nähe erschossen.

Die Ermittlungen der Polizei gerieten zu einem Fiasko mit kriminell anmutenden Fahndungspannen. In alle möglichen Richtungen, von der CIA, über die PKK bis zu südafrikanischen Rassisten, wurden Spuren verfolgt oder gelegt. Ein Tabu bildeten nur rechtsextreme Kreise in der schwedischen Polizei selbst. Einem 1989 präsentierten Einzeltäter, dem drogenabhängigen Christer Petterson, konnte die Tat letzlich nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Petterson starb 2004.

Kaum ein anderer hatte das Bild Schwedens so geprägt wie Olof Palme. Der 1927 geborene kam aus einem großbürgerlichen und konservativen Stockholmer Milieu. Als Student wandte er sich linken Ideen zu. 1969 folgte er seinem Mentor Tage Erlander als Parteivorsitzender und Ministerpräsident nach.

Der konfliktfähige Politiker war einer der Architekten einer „starken Gesellschaft“ und eines „Volksheim“-Wohlfahrtsstaates. In seiner Regierungszeit wurde der öffentliche Sektor und das Sozialsystem gestärkt. Für die einheimische Bourgeoisie war der pragmatische Visionär und Antikommunist ein „Klassenverräter“.

Außenpolitisch verteidigte Palme die schwedische Neutralität. 1968 kritisierte er die Niederschlagung des „Prager Frühlings“. Seine Proteste gegen den Vietnamkrieg führten zur Aussetzung der diplomatischen Beziehungen durch die USA. Er war ein zäher Gegner des Rassistenregimes in Südafrika. Immer wieder thematisierte er den Zusammenhang zwischen Rüstung und Welthunger. Doch auch die schwedische Waffenindustrie verdiente am Geschäft mit dem Tod.

1982 kam Palme erneut an die Macht. Seine zweite Amtsperiode war von innenpolitischen Konflikten überschattet. Der schwedische Unternehmerverband entfachte eine Propagandakampagne, um Ängste vor einer angeblichen Sowjetisierung der Gesellschaft zu schüren. In der Zeit des Totrüstungswettlaufes gegen die Sowjetunion setzte sich Palme für nuklearwaffenfreie Zonen ein. Im Auftrag der UNO entwickelte er weitreichende Abrüstungsvorschläge.

Seine nicht US-hörige Politik machte Palme Feinde in reaktionären Kreisen, auch im schwedischen Militär. Anfang der 80er Jahre wurden in der sogenannten „U-Boot-Krise“ Nato-U-Boote vor der schwedischen Küste medienwirksam als sowjetische Eindringlinge inszeniert.

Zwanzig Jahre nach dem mysteriösen Mord wird sich zeigen, ob die Schweden Palmes Erbe zu bewahren verstehen. Für die Reichstagswahlen im Herbst rechnen sich die Bürgerlichen gute Chancen aus.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 28.02.2016, S. 7, Link