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Offensive von rechts

„Dilma raus!“, „Amtsenthebung jetzt!“ und nicht weniger als das Vaterland „befreien“: Massive Proteste erschüttern das politische Gefüge des südamerikanischen Riesenlandes. In etwa siebzig Städten landesweit gingen am vergangenen Sonntag mehr als eine Million Demonstranten gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und die regierende Arbeiterpartei (PT) auf die Straße. Der bei weitem größte Aufmarsch ereignete sich in São Paulo.

Die Metropole ist eine Hochburg der Opposition. Geflutet von in den grüngelben Nationalfarben gekleideten Menschen, die meisten davon den Mittelschichten angehörig, wurde auch die Strandpromenade an der Copacabana in Rio de Janeiro.

offensive_von_rechtsIm Vordergrund der Proteste, die sich seit Wochen hochschaukeln, steht die Empörung über eine Verstrickung von PT-Politikern in einen großen Korruptionsskandal beim halbstaatlichen Ölmulti Petrobras. Die Forderung nach sofortiger Einleitung eines Impeachments, eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Rousseff, gibt dem Feinbild von einer kriminellen Elite ihr Gesicht. Als Aufrufer zu den Aktionen fungieren Gruppen wie „Vem Pra Rua“ („Komm auf die Straße“) und die „Bewegung Freies Brasilien“ (MBL), die sich als parteienfern bezeichnen und eine rechtspopulistische und nationalistische Agenda verfolgen. Zur Mobilisierung nutzen sie das Internet und den Kurznachrichtendienst Whatsapp. Die rechtsliberale Oppositionspartei PSDB, deren Kandidat Aécio Neves bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober nach einer äußerst aggressiv geführten Kampagne Dilma Rousseff unterlegen war, unterstützt den Protest. Parteichef Neves erklärte nun, dass „dieser 15. März für immer als ›Tag der Demokratie‹“ im Gedächtnis bleibe. Nach langer Überlegung habe er sich entschieden, der Straße am Sonntag fernzubleiben, damit klar erkennbar bleibe, dass das brasilianische Volk der „große Hauptdarsteller“ der Manifestationen sei. Die Forderung nach einem – kaum durchführbaren – Amtsenthebungsverfahren wird von der PSDB nicht direkt aufgegriffen. Statt dessen setzt man hier auf Destabilisierung.

Offene und massive Schützenhilfe kommt aus den Kanälen der marktbeherrschenden Mediengruppe Rede Globo, die ihre Konsumenten zum Mitmachen beim Protest aufforderte und die Demonstrationen mit Sensationsberichterstattung puschte. Teilnehmerzahlen werden hochgeschrieben. Ähnlich wie bei den Massenprotesten im Jahr 2013, die zunächst berechtigter sozialer Unzufriedenheit entsprangen und von den Globo-Medien mit demagogischen Parolen infiltriert wurden.

Weit weniger mediale Beachtung als die Massenaufläufe am Sonntag fand ein landesweiter „Aktionstag für Demokratie“ mit Zehntausenden Teilnehmern zwei Tage zuvor. Gewerkschaften und soziale Bewegungen wollten damit ein Zeichen setzen für die Verteidigung der Demokratie. Zugleich wurde auch dort Aufklärung und Bestrafung der Schuldigen bei Petrobras gefordert. Sie stellten sich hinter das Projekt von Rousseff, die mit einer „Politikreform“ Klientelismus und persönlicher Bereicherung zu Leibe rücken will. Für ihr Vorhaben fehlt der Regierung allerdings ausreichende Unterstützung im Nationalparlament. Das Kräfteverhältnis im Kongress hat sich bei den zurückliegenden Wahlen weiter zuungunsten der sozialdemokratisch orientierten Arbeiterpartei verschoben.

Die schlechte Stimmung im Land wird durch eine ungünstige Wirtschaftslage mit Stagnation, schwacher Landeswährung und hoher Inflation, von den großen Medien als Katastrophenszenario ausgemalt, befördert. Die neue Mittelschicht, die sich während der PT-Ära herausbilden konnte, fürchtet um ihren Lebensstandard. Nicht angetastet wurden die Privilegien der traditionellen Eliten und deren Netzwerke. In solchen Kreisen wird auch heute noch die rechte Militärdiktatur (1964–85) als Rettung aus linker Gefahr verherrlicht. Bei den Protesten nicht vorherrschend, doch stets sichtbar sind Aufrufe zum Putsch des Militärs, begleitet von antikommunistischer Hysterie. Gehetzt wird gegen Kuba und Venezuela, gegen Homoehe und Frauenrechte. Rousseff selbst betont weiter ihre Bereitschaft zum Dialog mit Kritikern ihrer Regierung. Justizminister Cardozo kündigte die kurzfristige Einbringung eines Antikorruptionspakets im Kongress an. Die nächsten Proteste sind für den 12. April angekündigt.

Von Peter Steiniger. Erschienen in: junge Welt vom 17.03.2015, S.7, Link

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