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Nationale Tragödie

Bei den Einsatzkräften sitzen die Waffen locker: Nach der aktuellen Erhebung einer Arbeitsgruppe der Universität von São Paulo in Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenportal G1 und dem Brasilianischen Forum für Öffentliche Sicherheit (FBSP) wurden in dem südamerikanischen Land 2017 durch Polizisten mindestens 5.012 Menschen getötet. Das bedeutet eine Zunahme um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für 2015 waren noch 3.300 Opfer ermittelt worden. Aus der Auswertung von offiziellen Zahlen aus allen 26 Bundesstaaten und dem Distrikt der Hauptstadt Brasília geht zugleich hervor, dass die Polizei selbst im Vorjahr mit 453 etwa 15 Prozent weniger Opfer aus ihren Reihen zu verzeichnen hatte. Fast 300 davon kamen allerdings nicht während ihres Dienstes zu Tode. Das FBSP nennt das „äußerst besorgniserregend“. Die Zahlen sprächen keineswegs für eine effektivere Polizeiarbeit, wie von Behörden behauptet, sondern zeigten „den kompletten Kontrollverlust“ seitens des Staates.

Fast alle Todesfälle stehen im Zusammenhang mit Schusswaffengebrauch, häufig erfolgte dieser während Einsätzen von Spezialkräften der Militärpolizei gegen Drogensyndikate in den Elendsvierteln der Großstädte. Immer wieder sterben dabei auch Unbeteiligte im Feuerhagel. Fast alle von der Polizei Getöteten sind männlich, mehr als zwei Drittel davon waren nicht älter als 29 Jahre und schwarz. Nach der absoluten Zahl der Opfer führt der Bundesstaat Rio de Janeiro mit 1.127 Zivilisten und 119 ums Leben gekommenen Polizisten die traurige Statistik an. Mit einer Rate von 8,3 Polizeiopfern je 100.000 Einwohner ist der nördliche Bundesstaat Amapá am stärksten betroffen, Rio folgt mit einem Wert von 6,7 vor Acre und Pará (jeweils 4,5). Landesweit liegt der Durchschnitt bei 2,4.

Den Exzess der Gewalt in einer krisengeschüttelten Gesellschaft spiegelt auch die Zahl der sonstigen Morde wider. Das FBSP hatte für 2016 mehr als 61.000 Fälle von Mord und Totschlag ermittelt. Viele Raubüberfälle enden tödlich. Für junge Schwarze ist das Risiko, gewaltsam zu Tode zu kommen, fast überall in Brasilien mehrfach höher als für Weiße. Für junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren ist Mord in Brasilien die häufigste Todesursache.

Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 12.05.2018, Seite 2 / Ausland, Link

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