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Não passarão!

Brasiliens Linke hat geantwortet. Wenige Tage nach neuen Massendemonstrationen für den Sturz der Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff und unmittelbar nach Protesten gegen die Berufung ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva zum neuen Kabinettschef – mit Übergriffen auf deren Anhänger – zeigten landesweit Menschen Flagge gegen die Offensive des reaktionären Lagers. In Dutzenden Städten wurde am Freitag unter der Losung „Gegen den Putsch, für die Demokratie“ demonstriert. Aufgerufen hatte das Bündnis „Frente Brasil Popular“ aus Gewerkschaften, Jugend- und Studentenorganisationen, Landarbeiter- und Landlosenbewegungen, der Arbeiterpartei (PT) und der kommunistischen PCdoB sowie Kirchen, Frauenverbänden, Künstlern und Intellektuellen. Der größte gewerkschaftliche Dachverband CUT richtete einen Appell an alle Brasilianer – unabhängig von Geschlecht, Rasse oder sozialer Klasse –, ihre Stimme gegen den Angriff rechter und faschistischer Kräfte zu erheben. Dieser bedrohe die junge Demokratie des Landes und ziele auf die politischen und sozialen Menschenrechte.

naopassaraojwAllerorten wurde für die Bewahrung des Rechtsstaats, eine Politikreform, gegen Privatisierungen und die Abwälzung der Folgen der Krise auf die kleinen Leute demonstriert. „Es wird keinen Putsch geben, sondern Kampf“, war auf Spruchbändern zu lesen, die antifaschistische Losung aus dem Spanienkrieg „Não passarão!“ (Sie werden nicht durchkommen!) war präsent, Lula wurde als „Kämpfer des brasilianischen Volkes“ gefeiert. Der prominenteste Linkspolitiker des Landes war für den Abend gemeinsam mit Bürgermeister Fernando Haddad auf einer Großkundgebung in São Paulo angekündigt.

Brasilien erlebt unruhige Tage. Dahinter steht der Versuch, auch hier eine „farbige Revolution“ zu inszenieren, nachdem die PT-Politikerin Rousseff die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2014 knapp für sich entscheiden konnte. Das größte Land Lateinamerikas, siebtgrößte Ökonomie der Welt, ist ein Brennpunkt beim rechten Rollback in der Region. Ein Komplott alter Eliten aus Politik und Wirtschaft mit Justizkreisen und Medien nutzt seine Macht über die öffentliche Meinung dazu, ein Klima der Instabilität und Hysterie zu erzeugen. Eine führende Rolle dabei spielt die Globo-Gruppe. Lüge, Manipulation und illegale Praktiken gehören zum Arsenal. Im Parlament dominiert eine rechte Mehrheit, mit dem fadenscheinigen Vorwurf, die Staatsfinanzen manipuliert zu haben, wird dort ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff vorangetrieben. Das Komitee leitet Eduardo Cunha, Inhaber etlicher Schwarzgeldkonten in der Schweiz.

Noch weit mehr im Visier ist Lula da Silva. Seine Sozialreformen als Präsident waren für brasilianische Verhältnisse revolutionär. Von jenen, die auf die ärmere Bevölkerungsmehrheit herabblicken und die ihre Privilegien für unteilbar halten, wurde dieser Wechsel nie verwunden. Und sie fürchten ein Comeback Lulas bei der nächsten Wahl. Der wurde kürzlich in einer Korruptionsermittlung von der Polizei zu einem Verhör verbracht, als Medienspektakel inszeniert. Abgehörte Telefonate auch mit der Präsidentin wurden rechtswidrig öffentlich gemacht. Ein rechter Richter aus Brasília versuchte, den Amtsantritt des Kabinettschefs noch mit einer Eilentscheidung zu torpedieren. Für diese brauchte er nur Sekunden, das Urteil lag bereits vor Eingang einer Bürgerbeschwerde bereit. Und ging sofort an die Presse. Die PT soll als Gefahr für Brasilien dämonisiert werden. Das so geschürte Klima erinnert an die Zeit vor der Machtergreifung des Militärs 1964. Der Kampf hat erst begonnen.

Von Peter Steiniger, erschienen in: junge Welt vom 19.03.2016, S. 1, Link