Niemand steht über dem Gesetz! Brasiliens früherer Präsident Lula soll für zwölf Jahre hinter Gitter wandern. Das Oberste Gericht hat Sérgio Moro, dem Sheriff von Curtiba, freie Hand gegeben, den Gründer der Arbeiterpartei einzulochen. Dessen Verbrechen wiegen schwer. Begangen hat er sie alle auf Netflix. In der dort kürzlich angelaufenen achtteiligen Serie „Der Mechanismus“ von José Padilha über die Polizeioperation „Lava Jato“ ist ein Staatschef, der Lula verkörpern soll, als finstere Figur im Mittelpunkt eines hochkriminellen Netzwerkes zu erleben. Doch ein unbestechlicher Ermittlersuperheld und Schwiegermuttertraum ist ihm und seiner Politmafia auf der Spur. Das Spektakel um den Kampf gegen den Krebs der Korruption, welcher den Staat zerfrisst, wird als „auf wahren Begebenheiten beruhend“ unters Volk gebracht.
Mit den Begebenheiten geht Padilha so flexibel um, wie das Oberste Gericht mit Lulas Grundrechten. So wird der Banestado-Skandal um die Privatisierung der staatlichen Bank von Paraná mit den dabei „abhanden gekommenen“ Milliarden aus der Regierungszeit des Bürgerlichen Fernando Henrique Cardoso an den Beginn der PT-Ära – verlegt. Dem falschen Lula wird ein Zitat in den Mund gelegt, für das ein rechter Spitzbube das Copyright hält. Es stammt aus einem Gespräch von Senator Romero Jucá aus dem Umfeld des heutigen Präsidenten Michel Temer mit einem Ölmanager im Frühjahr 2016. Es sei nötig, so Jucá, nicht zu verwechseln mit Lula, die Regierung von Dilma Rousseff zu stürzen, um den „Aderlass zu stoppen“. Gemeint waren die Sorgen wegen der Ermittlungen gegen seinesgleichen. Der „große nationale Pakt“ der Reaktion mit Militärs und obersten Richtern gegen die Arbeiterpartei und die sozialen Bewegungen, den Jucá kommen sah, ist heute eine Tatsache.
Die perfekt getimte Netflix-Serie ist Teil einer kollektiven Gehirnwäsche, welche die großen Medien den Brasilianern verordnet haben. „Reichspropagandaminister“ Joseph Goebbels hätte seine Freude an soviel Infamie im Mantel künstlerischer Freiheit. Und wer nicht hören will, dem drohen die Medien der Globo-Gruppe mit Polizei und Militär. Der Putsch von 1964 lässt grüßen. Und wie bei den Urteilen gegen Lula stützt man sich nicht auf Fakten, sondern auf Überzeugungen und ein klares Feindbild. Hier wird politische Justiz geübt, doch es geht um Größeres. Auch Berlin hüllt sich daher in eisernes Schweigen zu diesem Skandal. An der Ostfront gibt es schon genug Trouble.
Die Ausschaltung von Lula, der für Millionen Brasilianer weiter die Hoffnung auf ein besseres Leben verkörpert, stand stets als ein Muss auf dem Spielplan. Dilmas Sturz und die Verhinderung seines Comebacks sind Teil desselben Drehbuchs. Globo und Teile der Justiz arbeiten daran Hand in Hand. Das Oberste Gericht ließ den kalten Putsch zu. Bei Recht und Gesetz zeigt es sich politisch flexibel. Der Umgang mit Lula ist kein Präzendenzfall für den mit wirklich Korrupten, vor allem nicht, wenn sie aus dem Stall der großbürgerlichen Partei PSDB stammen. Über dem Gesetz stehen weiter die Eliten.
Von Peter Steiniger. Erschienen in junge Welt, Ausgabe vom 06.04.2018, Seite 1, Link