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Spurensuche an der Mühlenstraße

Betriebshof der BSR in Friedrichshain

Das Gelände des Betriebshofs der Berliner Stadtreinigungsbetriebe in Friedrichshain nahe der Oberbaumbrücke erzählt deutsch-jüdische Geschichte. An der Mühlenstraße gelegen, schlägt das Areal eine Schneise in das von großen Investoren beherrschte Projekt Mediaspree, welches das Gewerbegebiet am früheren Schlesischen Güterbahnhof in deren Sinne entwickelt. Zur Spree hin begrenzt es heute das East Side Hotel in der Mühlenstraße 6, das östlich von der BSR-Kantine flankiert wird und westlich vom 1887 erbauten Wohnhaus und Kontor der Osthafenmühle sowie dem Kundendienstzentrum des städtischen Betriebs.

Ende des 19. Jahrhunderts befindet sich die Liegenschaft mit der Adresse Mühlenstraße 6/7 in Berlin O17 im Eigentum der Gebrüder Georg Leonhard und Samuel Felix Eisenmann. Die Kaufleute sind in die Fußstapfen von Raphael Eisenmann, Jahrgang 1821, getreten, der zum portugiesischen Konsul in Berlin ernannt und mit einem Orden „für besondere Verdienste“ bedacht worden ist. 1894 wird ein 644 Quadratmeter großer Teil des Grundstücks „zur Freilegung der Mühlenstraße“ nach Stadtverordnetenbeschluss im Enteignungsverfahren durch die Kommune erworben. Statt der geforderten 150 Mark/qm erhalten die Eisenmanns nur 85.

Hier ist auch der Standort der Firma R. Eisenmann für Alkohol-Präparate. Am Ende der Kaiserzeit hat Samuel Felix, Kunstsammler und Mitglied des Aufsichtsrats der Breslauer Diskonto-Bank, das Amt des General-Konsuls Portugals für die Provinzen Brandenburg, Posen, Sachsen und das Herzogtum Anhalt übernommen. Das Bureau befindet auf dem Eigentum in der Mühlenstraße 6/7. 1913 übt er diese Funktion neben Senhor Alberto d`Oliveira aus.

Im selben Jahr übernimmt er zusammen mit Isidor Stern eine Adlershofer Likör- und chemische Fabrik und gründet die C.A.F. Kahlbaum AG. Im ersten Weltkrieg verdient das Unternehmen kräftig an der Produktion von Spiritus, Laborpräparaten und Granaten mit chemischen Kampfstoffen. Der pharmazeutische Zweig geht später in Schering auf. Kahlbaum gehört auch zum Stammbaum der DDR-Betriebe Berlin-Chemie und des Spirituosenherstellers VEB Bärensiegel.

Nach dem Tod des Vaters wie auch des Onkels Georg Leonhard ganz am Ende der Kaiserzeit übernimmt 1918 Günter Bernhard Eisenmann die Leitung der Sprit- und Likör-Fabrik R. Eisenmann am Schlesischen Güterbahnhof. Zuvor hat er ebenfalls als Portugiesischer Generalkonsul und als Beamter im Kriegsministerium gewirkt. 1921 wird aus der offenen Handelsgesellschaft die R. Eisenmann Aktiengesellschaft und acht Jahre später eine GmbH. Ein Geschäftszweig ist die Herstellung von Alkohol-Präparaten für die Industrie.

Die Firma Eisenmann ist längst nicht der einzige Nutzer ihres Gewerbegebiets. Th. Asmus Petersen hat hier seine „Furniergroßhandlung in- und ausländischer Furniere“. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlegt der Steglitzer sein Geschäft dann nach Neukölln. An diesem Abschnitt der Mühlenstraße sind weiterhin die Präzision-Zylinderschleiferei von Otto Balendat und der von Richard Leben gegründete Hersteller von Reinigungsmitteln „Leben & Co. Blitzblankfabrik“ zu finden. Außerdem die J. F. Ginsberg Metallurgische GmbH sowie die Deutsche Schmelz- und Raffinierwerke AG, beide von Ignatz F. Ginsberg geführt. Seit Jahrzehnten ist in der Mühlenstraße 6 der Chemiker Dr. Abraham Garfunkel als wohnhaft gemeldet, auch das Jüdische Adressbuch führt ihn.

Nicht zuletzt ist hier ein Standort des BSR-Vorläufers Berliner Müllabfuhr Aktien-Gesellschaft. 1939 genehmigt der von den Nazis in „Horst-Wessel-Stadt“ umbenannte Bezirk den Bau eines Lager- und Wagenabstellschuppens für die Städtische Müllbeseitigungsanlage.

Die Namen Garfunkel, Ginsberg und Eisenmann tauchen später in „Verfahren gegen das Deutsche Reich“ bei den Wiedergutmachungsämtern von West-Berlin wieder auf. Diese sollen Opfer nationalsozialistischer Unterdrückungsmaßnahmen für ihnen unrechtmäßig entzogenes Vermögen entschädigen. Abraham Garfunkel ist nach Tel Aviv, Fritz Ginsberg nach New York emigriert. Es geht um Entschädigungen für die „Arisierung“ von Unternehmen, um Wertpapiere, Schmuck und Immobilien. Günther Bernhard Eisenmann lebt bis zu seinem Tod 1963 in Berlin-Grunewald. 1939 haben ihn die Nazis aus der Chemikalienproduktion gedrängt, vor der Deportation in ein Vernichtungslager schützte ihn eine „privilegierte Mischehe“.

Und was wurde aus der Spirituosenhandlung R. Eisenmann? Das Aus kommt bereits 1933, als die Nazis ihr das Geschäft mit dem Branntwein entziehen. Der Laden geht an Gerrit Liebach, der im selben Jahr im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg seine „Sprit-Vertriebsstelle der Reichsmonopolverwaltung“ eintragen lässt. Bevor er die profitable Vertriebsstelle für Spiritus und Branntwein in Besitz nehmen kann, hat der in der Rubensstraße in Schöneberg wohnhafte Liebach im kleineren Stil als Geschäftsführer einer GmbH mit Autoteilen und Baumaterial gehandelt.

Das Gesamtadressenwerk der NSDAP-Geschäftsstellen für 1934, erschienen im Verlag Die Deutsche Tat, Berlin, weist Gerrit Liebach, Stadtrat, als Ortsgruppenleiter der NSDAP-Ortsgruppe Wieland, Kreis IV, Gau Groß Berlin, aus, deren Postscheckkonto er auch führt. Bereits 1917 war Liebach mit dem kriegstüchtigen Büchlein „Von China zur Front! Fluchterlebnisse eines deutschen Offiziers“ hervorgetreten, das der Verlag für U-Boot-Literatur, Berlin-Friedenau, verlegt hatte.

In der DDR-Zeit betreibt der VEB Kombinat Stadtwirtschaft Berlin an der Mühlenstraße 4-7 einen Fuhrhof der Müllabfuhr, einen Sperrmülldienst sowie seine Ausbildungsstätte. Unter der Adresse Mühlenstraße 6-7 ist die Kreisdirektion Berlin-Friedrichshain der Staatlichen Versicherung zu finden.

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