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Hüter der Gesetzlosen

Seit Wochen war öffentlich spekuliert worden, nun hat sich Michel Temer den Richtigen ausgesucht: Am Montag ließ Brasiliens Staatschef seine Entscheidung bekanntgeben, dass der Minister für Justiz und Öffentliche Sicherheit, Alexandre de Moraes, künftig als Mitglied des Obersten Bundesgerichts (STF) über die Einhaltung der Verfassung wachen soll. 

Die Bestätigung des Kandidaten durch den zuständigen Senatsausschuss und seine Wahl durch dessen Plenum dürften eine Formsache sein. Damit schlägt Temer gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Er festigt zum einen den Pakt seiner Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) mit der rechtsbürgerlichen PSDB, deren Mann Moraes ist und die den Präsidenten bis auf weiteres im Amt hält. Zugleich wird damit eine Person seines Vertrauens zum Revisor aller Verfahren gegen hochrangige Politiker im Rahmen der Operation „Lava Jato“ zum Skandal um Schmiergeldzahlungen und schwarze Parteikassen.

thumbnail of jw_033_06Kronzeugenaussagen und laufende Ermittlungen zum Filz aus Wirtschaft und Politik rund um den Ölkonzern Petrobras und den Bauriesen Odebrecht belasten die gesamte Führungsmannschaft der Rechtsparteien und die Regierung bis hinauf zu Temer selbst. Seit dessen Amtsantritt im vergangenen Mai infolge des geglückten Komplotts gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) hatten bereits sechs Mitglieder seines Kabinetts das Pech, wegen Korruptionsverdachts und weiterer Machenschaften ihren Posten wieder räumen zu müssen. Für Temers Optimismus, diese Fluktuation künftig besser in den Griff zu bekommen, spricht auch die jüngst erfolgte Beförderung seines Spezis und Parteifreundes Moreira Franco zum Leiter seines Sekretariats mit Ministerrang und damit auf ein Level an Immunität, welches weitere Nachstellungen der Justiz von der Genehmigung des STF abhängig macht. Franco taucht gleich 34mal in den Aussagen der Odebrecht-Manager als Geldnehmer auf.

Die Neubesetzung des elften Stuhls im Obersten Gericht mit einem ultrakonservativen Hardliner festigt die Machtverhältnisse dort. Der 48jährige Moraes darf auf diesem bis zu seinem 75. Geburtstag kleben bleiben. Der Posten wurde vakant, als Ende Januar der für die Korruptionsermittlungen zuständige Richter Teori Zavascki tödlich verunglückte. Dessen Ausflug mit einem befreundeten Unternehmer in Damenbegleitung wurde zur letzten Reise. Nahe der Küste stürzte die kleine Maschine westlich von Rio de Janeiro aus ungeklärter Ursache ins Meer. Für Temer und die Seinen ein – staatlich ordentlich betrauertes – Geschenk des Himmels.

In Juristenkreisen zählt Moraes als Staatsrechtler nicht gerade zu den hellsten Lichtern auf der Torte. Eher ist er ein Praktiker, doch die Suche nach Lösungen für die Krise des miserablen Gefängnissystems, mit wiederholten blutigen Aufständen und Kämpfen zwischen Drogenkartellen, die Dutzende Tote forderten, bleibt nun anderen überlassen. Ein Kenner der Szene geht verloren: Als Anwalt war Moraes früher im Umfeld der landesweit berüchtigten kriminellen Organisation PCC („Erstes Kommando der Hauptstadt“) tätig. Der neue Mann hat, das hebt auch Temer in seiner Entscheidung hervor, so einige professionelle Erfahrungen und Qualitäten. Vor seinem Aufstieg zum Minister sorgte er unter anderem als Sekretär für Öffentliche Sicherheit im Bundesstaat São Paulo jahrelang für Angst und Schrecken unter linken Demonstranten, die er regelmäßig von der Militärpolizei schikanieren und zusammenprügeln ließ. Der Kettenhund von São Paulos Gouverneur Geraldo Alckmin (PSDB) muss sich als ein Oberster Richter nun „politisch-parteilicher Aktivitäten“ enthalten. Eine Regel, die für dieses Gremium reine Theorie ist – für Moraes dürfte sie umso weniger zählen.

Von Peter Steiniger, Amsterdam. Erschienen in: junge Welt vom 08.02.2017, S. 6, Link